Schauspiel:Unter Beobachtung

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Hansjörg Thurn hat für das Augsburger Staatstheater "Freiheit.pro" geschrieben. Ein Stück über die Unbill des Internets, das der Realität der Bühne nicht gewachsen scheint

Von Egbert Tholl

Es gibt hier einen schönen Moment, da hebelt die Inszenierung ihr eigenes Thema aus. In diesem Moment gibt es eine zarte, körperliche Annäherung zwischen dem 17-jährigen Leo, gespielt von Julius Kuhn, und der 17-jährigen Emmy, gespielt von Marlene Hoffmann. Die beiden verschwinden hinter einem Sofa, das zusammen mit einigen Sesseln hier auf der Bühne herumsteht. Sie werden unsichtbar für die Zuschauer, und bald gibt auch Mehmet (Baris Kirat) auf, den Moment einer Liebe oder einer Lust zu filmen. Da sind sich dann zwei junge Menschen ganz privat ganz nah, ohne dass das Internet oder irgendjemand, den das nichts angeht, davon erfährt. Leider ist dieser Moment ziemlich einzigartig.

Der Fernsehregisseur und Drehbuchautor Hansjörg Thurn hat für die Reihe "aktuell heute" des Augsburger Staatstheaters das Stück "freiheit.pro" geschrieben, mit dem man vermutlich in seiner normalen Arbeitswelt - dem Fernsehen - viel anfangen könnte, das auf der Bühne aber wie ein als Fleißarbeit herbeibuchstabierter Krimi wirkt. Thum gelingt es kaum, seinen Figuren eine bühnentaugliche Plausibilität mitzugeben. Liest man den Text flott durch, hat er durchaus seinen Reiz. Sieht man ihn auf der Bühne, kann man die an seiner Umsetzung Beteiligten nur bedauern. Wobei allerdings dem Regisseur Achim Conrad auch kaum mehr einfallt, als einen psychologischen Realismus zu behaupten, der hier bestenfalls als Oberflächenreflexion funktionieren kann.

Dabei ist das Thema toll: Leo stalkt die im Rollstuhl sitzende Emmy und macht zusammen mit seinem Kumpel Mehmet aus deren Selbstmordversuchen eine viral gehende Internetshow. Leos Mutter weiß das alles, ist aber Stadträtin - Anne Lebinsky schlägt sich mehr als Wacker in dieser Rolle, in der alles reine Behauptung ist und die sie wenige Tage vor der Premiere übernahm. Der Vater, ein Psychologe, kapiert wenig, Emmys Vater kreiselt hilflos in der Gegend herum, alle zusammen flüstern Polizeiverhöre. Zwar werden die richtige Fragen gestellt, verteidigt sich Leo etwa mit dem Argument, er zeige nur, was ohnehin passiert. Aber vielleicht zeigt das Stück auch einfach, wie schwierig es ist, dem Internet mit dem Theater beizukommen.

Raissa Kankelfitz' Bühnenbild mit Emmy als Pixelikone ist allerdings fabelhaft klug und schafft eine Aura, in der die drei jungen Darstellenden viel unternehmen, um den Abend für ein junges Publikum attraktiv zu halten. Die Brechtbühne ist das bereits: Die "Ausweichspielstätte" wurde schnell ein richtig lebendiger Ort für Theater.

Freiheit.pro ; Donnerstag, 28. Nov., 19.30 Uhr, Brechtbühne im Gaswerk, Augsburg

© SZ vom 27.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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