Schauspiel:Stilles Gelächter

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Die vier Herren von "Cezary Goes To War" sind bereit für große Abenteuer wie etwa das Infragestellen von Männlichkeit in der kapitalistischen Gesellschaft. (Foto: Patrycja Mic)

Das Kompaktfestival "Warszawa - Munich" bringt polnisches Theater an die Münchner Kammerspiele

Von Egbert Tholl

Wenn man schon nicht zur Podiumsdiskussion am Sonntag Nachmittag gehen kann, ist der Samstagabend ein sehr guter Ersatz. Die Podiumsdiskussion trägt den Titel "We Are The Granddaughters Of The Witches You Couldn't Burn" - zu deutsch "Wir sind die Enkeltöchter der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet". Das klingt nach der Verheißung zorniger feministischer Positionen in der jüngeren polnischen Kunst. Aber wenn man dafür keine Zeit hat, geht man halt am Abend zuvor zu "Wuss 3000". Seit mehr als drei Jahren arbeiten einige Ensemblemitglieder der Münchner Kammerspiele in Eigenregie an der Perfektionierung eines queeren Karaoke-Abends. Eingebettet ins kleine Festival des polnischen Theaters wird "Wuss" zu einem Fest der Gender-Grandezza, die mit größtenteils tiefenentspannter Noblesse von der Unaufgeregtheit im Umgang mit sexuellem Selbstverständnis aller Art kündet.

Nun sind die drei Produktionen, die die Kammerspiele zum Festival "Warszawa - Munich" aus Polen nach München geholt haben, weder explizit queer noch politisch im engeren Sinn. Aber alle drei haben ein verspieltes Selbstbewusstsein, und damit passt "Wuss" gut dazu. Simpel würde man ja denken, in Polen ringt die Gesellschaft mit Rechtsruck und Populismus, also macht das Theater dies zum Thema. Wenn überhaupt tut dies konkret jedoch nur "Jedem das Seine" von Marta Górnicka, die Hausproduktion, die die Münchner Kammerspiele selbst zum Festival beisteuern. Die drei Gastproduktionen mäandern eher um andere Themen herum, was nicht heißt, dass man nicht auch manche davon als politisch begreifen könnte.

Zum Beispiel die Geschwister Polak (die heißen wirklich so), Jaśmina und Piotr. Zusammen mit dem Regisseur Wojtek Ziemilski erklären sie aus der Vergangenheit die Zukunft, der Abend heißt auch so, "The Polaks Explain The Future". Erklären tun sie dabei eigentlich nichts, aber das macht nichts, weil man ihnen sehr gern zuschaut. Sie ist ein Frosch, er ist Superman, und gemeinsam bedienen sie ein Keyboard, das sehr viel kann. Das Keyboard ist ein "Teeny Tiny DJ-Set", das auch eine Sammlung polnischer Köpfe und Worte aus diesen steuern kann, die werden dann projiziert, immer schneller und wilder, bis eine Kakofonie der Wörter entsteht. Politiker sind dabei, der Fußballer Robert Lewandowski, der Papst, Polaks Mutter.

Überhaupt, die Mutter. Erst erzählt sie ganz viel von ihren Ängsten, würde heute keine Familie mehr gründen, auf den Straßen fahren nur Idioten, keiner schert sich mehr um den anderen. Und wohin mit dem ganzen Müll? Daraufhin schickt ihr Nachwuchs die Mutter ins All, also in einen sternenfernen Disco-Lichtzauber, sie kommt zurück und alles ist prima. Keine Ängste mehr. Das ist fast schon entzückend naiv, ist aber vermutlich eher ein riesengroßer Witz, der sich aus einer vielleicht tiefen Verzweiflung heraus lustig macht über das, was man bei uns Dystopie nennt. Vielleicht gibt es in Polen keine Dystopien, vielleicht ist man dort schon darüber hinaus und feiert lieber eine finale Technoparty in den Ruinen einst glorioser Zeiten.

Ähnlich freundlich, nein, noch entzückender als die Produktion vom Nowy Teatr ist "Cezary Goes To War" von Komuna. Die Gruppe, beheimatet in der Nähe von Warschau, funktionierte (und funktioniert vielleicht immer noch) tatsächlich wie eine Kommune. Vor 15 Jahren waren sie mal beim "Spielart"-Festival in München, vage dämmert da eine Erinnerung. Für den Abend braucht der Regisseur Cezary Tomaszewski seine eigene Biografie, Musik von Händel, Debussy, Schostakowitsch und Stanisław Moniuszko, dem hierzulande unbekannten Vater der polnischen Oper, eine unerschütterliche Pianistin sowie vier Herren, die tanzen, singen und bezaubern können. Durchsetzt von alten Liedern auf das Vaterland erinnert der Abend an eine abenteuerliche Form der Musterung - im Sozialismus gab es fünf Kategorien, A bis E, wobei E in Tomaszewskis Interpretation annähernd an nicht überlebensfähig grenzt. Zumindest in Kategorien eines Funktionierenmüssens.

Er selbst war E und glücklich, bis er einmal eine Gruppe Soldaten unter der Dusche sah. Daraufhin wollte er A sein. Und dazugehören. Ein mehr oder weniger schwuler Abend über das Militär in Polen, inklusive Kriegslieder und "Stille Nacht", garniert mit ungeheuer witzigen Choreografien und einem ganz großen, stillen Gelächter über männliche Rollenbilder und postsozialistischem, also kapitalistischem Funktionsdenken. Das muss sich erst einmal jemand trauen. In Polen.

Anna Karasińska denkt nebenan lieber übers Theater an sich nach. "Fantasia" vom TR Warszawa ist das, was der Name sagt, die Fantasie über das "als ob" im Theater, wo sechs Menschen alles sein können und dieses Alles gar nicht mehr spielen müssen, um Theater zu machen.

© SZ vom 18.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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