Schauplatz Vigevano:Auf der Piazza Ducale glüht der Tag in die Nacht

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Diese Stadt war eine Hochburg der Stiletto-Industrie - bis die Chinesen in Whenzou billiger produzierten. Beschaulich ist sie immer noch.

Von Thomas Steinfeld

Einer der schönsten Plätze Italiens liegt in Vigevano, ungefähr 35 Kilometer südwestlich von Mailand gelegen und mit der Metropole durch einen quietschenden grünen Vorortzug verbunden. Die Piazza entstand im späten 15. Jahrhundert und besteht aus einer weiten, rechteckigen Fläche, die auf drei Seiten von Arkaden umgeben ist. Über ihnen erhebt sich eine gleichmäßige Reihe reich verzierter Häuser. In ihnen liegen die wichtigsten Geschäfte der Kleinstadt sowie drei oder vier Bars. Die mächtigste Erscheinung an diesem Platz aber ist die barocke Fassade des Doms, der die östliche Seite des Platzes abschließt. Sie ist nach innen gewölbt und viel größer als die dahinterliegende Kirche. Man betrachtet sie am besten vom Caffè Commercio aus, an der entgegengesetzten Seite der Piazza Ducale gelegen. Wenn die Sonne unterzugehen beginnt, färbt sich die Fassade orange. Und wenn sie fast untergegangen ist, wächst unten der graue Schatten herauf, während das Obergeschoss bald in Dunkelrot getaucht ist. Dann gehen die Menschen zum Abendessen.

Hier wurde der Stiletto hergestellt - bis ihn die Chinesen in der Partnerstadt billiger produzierten

Die große Piazza gehorcht exakten Proportionen. Ihre Breite verhält sich zu ihrer Länge wie 1 zu 3. Sie ist ein Triumph der Geometrie in einer ansonsten eher sonderbaren Maßen gehorchenden Stadt: Das Kastell der Sforza, ebenfalls aus dem späten 15. Jahrhundert, ist ein Monstrum, das mitten in der Stadt liegt wie das Raumschiff der Außerirdischen in einem amerikanischen Katastrophenfilm. Gut 60 000 Einwohner hat Vigevano, aber die Gemeinde ist verschwistert mit Wenzhou, einer Stadt nicht weit vom Ostchinesischen Meer mit fast zehn Millionen Einwohnern - was zum einen daran liegt, dass fast alle Chinesen, die in Italien leben (und das sind offiziell mindestens 300 000, inoffiziell das Doppelte oder mehr), aus Wenzhou kommen, und zum anderen darauf zurückzuführen ist, dass die beiden Städte als Zentren der Schuhindustrie gelten. Aber was heißt gelten? Ein Kranz von leer stehenden Industriegebäuden aus dem späten 19. Jahrhundert, aus den Zwanzigern und aus den Fünfzigern zieht sich um den historischen Stadtkern Vigevanos. In Wenzhou werden Schuhe eben viel billiger gefertigt. Statt lebendiger Fabriken gibt es nun in Vigevano ein "Museum des Schuhs". Es erinnert unter anderem daran, dass die industrielle Fertigung des Stilettos in Vigevano erfunden wurde - auch wenn es nicht einfach sein kann, auf den runden Pflastersteinen der Piazza in Stilettos zu gehen.

Seitdem es einen italienischen Nationalstaat gibt, gehört Vigevano zur Provinz Pavia. Vor einigen Jahren entschieden die Kommunalpolitiker jedoch, dass Pavia nicht gut genug zu ihnen gewesen sei, und suchten den Anschluss an die Region Mailand: In der vergangenen Woche wurde der Bau einer Autobahn beschlossen, die Vigevano direkt mit dem internationalen Flughafen Malpensa verbinden soll. Vor Kurzem wurden die Kommunalpolitiker in Vigevano von Roberto Maroni, dem Gouverneur der Lombardei, allerdings ihres Ehrgeizes wegen ausgeschimpft: Ob sie denn wirklich zur Peripherie eines Mailänder Imperiums werden wollten? "Es gibt im Augenblick keine Prioritäten", wand sich daraufhin der Bürgermeister, wohlwissend, dass kulturell in Italien nichts so stark ist wie der Glaube an die Familie und an die Kommune. Man schaue nur hin: Wenn die Sonne unterzugehen beginnt, färbt sich die Fassade des Doms orange. Und wenn sie fast untergegangen ist, wächst unten der graue Schatten herauf, während das Obergeschoss bald in Dunkelrot getaucht ist. Dann gehen die Menschen zum Abendessen.

© SZ vom 02.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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