Schauplatz Schweden:Was ist skandinavisch? Absolut nichts

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Eine Fluglinie weist in einem Werbespot auf die importierten Kulturgüter Skandinaviens hin und möchte damit zum Reisen animieren. Es gibt zu denken, dass diese Aktion in konservativen Kreisen nicht gut ankam.

Von Thomas Steinfeld

Zu den großen Exporterfolgen der schwedischen Kultur in den vergangenen Jahren gehört das Wort "Flugscham". Es bezeichnet das schlechte Gewissen, das einen potenziellen Reisenden befällt, wenn er sich des Flugzeugs bedient. Das Gefühl scheint so weit verbreitet zu sein, dass die Zahl der Flugreisen, die von Stockholm, Kopenhagen oder Göteborg ausgehen, nicht mehr wächst. Auf diesen Niedergang vermutlich wollte die skandinavische Fluggesellschaft SAS mit einer Werbekampagne reagieren. So entstand ein heiterer, ironischer, ja sogar witziger Film, der mit den Stereotypen spielt, die sich die Einwohner der nordischen Länder zu ihren nationalen Eigenarten zurechtlegen: Woher kommen die Fleischbällchen, die als Leibgericht aller Schweden gelten? Aus der Türkei. Wo entstand die Demokratie? In Griechenland. Wer gab den Nordmenschen die Stange, um die sie in der Mittsommernacht tanzen? Die Bayern, die das Ding für einen Maibaum halten. "Was ist typisch skandinavisch?", fragt zu Beginn des Films eine Frauenstimme aus dem Off, um zur Antwort zu geben: "Absolut nichts." Dazu sieht man ein ratlos ausschauendes Mädchen, das mit den Schultern zuckt.

Die Botschaft des Films ist Werbung für praktizierte Weltläufigkeit. Der kulturelle Reichtum eines Landes, und vermutlich nicht nur dieser, entsteht durch die Begegnung mit anderen Menschen. Und Nordmenschen reisten besonders gern. Doch gleichwohl. Der Film war kaum öffentlich zu sehen, als ein Sturm der Entrüstung losbrach, bei dem sich zunächst die Rechtspopulisten zu Wort meldeten: Die Fluggesellschaft spucke jedem ins Gesicht, der stolz auf seine nordische Herkunft sei, meinte ein "Schwedendemokrat" und die offen nationalsozialistische "Nordfront" behauptete, der Film sei ein "aggressiver Angriff" auf die skandinavischen Länder. Nur Stunden, nachdem der Clip auf Youtube freigeschaltet worden war, war er wieder verschwunden, begleitet von einem Kommentar, die Werbung sei "gekidnappt" worden. Doch setzte sich die Empörung danach noch über Tage in den konservativen Zeitungen fort. Die Fleischbällchen mögen aus der Türkei kommen, hieß es in Svenska Dagbladet. Doch würden sie in Schweden auf eine spezielle Art serviert. Der Kommentar war ernst gemeint, weshalb man am Schluss fürchtet, in der Abwesenheit von Ironie und tieferer Bedeutung möchte sich vielleicht doch etwas Spezifisches verbergen.

© SZ vom 26.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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