Schauplatz Rom:Der Leuchtturm brennt

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In der linken Buchhandlung "Pecora elettrica" im römischen Viertel Centocelle ist zweimal kurz hintereinander Feuer gelegt worden. Nun rätseln die Römer: Waren es Rechte - oder "nur" die Mafia, die die einst ruhige Gegend für ihre Geschäfte entdeckt?

Von Oliver Meiler

Nach Centocelle kommt kaum je ein Tourist, außer er verirrt sich. Centocelle, so heißt ein Viertel im fünften Stadtbezirk Roms, draußen an der Ecke Via Prenestina und Viale Palmiro Togliatti. Quadratische Wohnblöcke, fast alle gleich. Eine borgata, wie die Italiener ihre Vorstädte nennen. Pier Paolo Pasolini drehte eine Szene für den Film "Accattone" in Centocelle. Es gibt auch ein berühmtes Foto, das den Intellektuellen in den Siebzigerjahren im Anzug beim Fußballspiel mit der Jugend zeigt. Pasolini interessierte sich immer für beides: für das Leben in den borgate und für junge Männer. Aber sonst war Centocelle ein Ort der städtischen Ausfransung wie andere, vergessen und links, solange die Linke sich noch um die Ränder der Gesellschaft kümmerte.

Nun reden plötzlich alle von Centocelle. Die kleine Buchhandlung mit Café Pecora Elettrica, übersetzt: elektrisches Schaf, an der Via delle Palme hat in kurzer Zeit zum zweiten Mal gebrannt. Angezündet von Unbekannten. Das erste Mal passierte es am 25. April, dem Gedenk- und Feiertag zur Befreiung von den deutschen Besatzern und dem faschistischen Regime 1945. Wer in diesen Zeiten der fortschreitenden Salvinisierung des Landes nicht reflexartig an einen politischen Hintergrund denkt, gilt als naiv. Die Pecora ist nämlich offen antifaschistisch. In ihrem Sortiment führte sie Bücher für die ideologisch zugeneigte Kundschaft und organisierte Lesungen mit Engagement.

Aber vielleicht ist die Fährte falsch. In den vergangenen Tagen haben auch die Pizzeria Cento 55, zwei Häuser weiter, und das Baraka Bistrot gebrannt. Alles in einem Radius von 200 Metern, ein Zufall kann das nicht sein. Es gibt nun Politiker in der Stadt, die nach der Armee rufen. Virginia Raggi, die Bürgermeisterin Roms von den Cinque Stelle, appelliert an die Betreiber von Bars und Buchhandlungen, ihren Mut nicht zu verlieren, der Staat lasse sie nicht allein. Es braucht viel Überzeugungskraft gerade, die Anwohner vereinigen sich schon mal in Protestkomitees.

Centocelle hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Ausgehviertel gewandelt, mit vielen Bars, Pubs, Ateliers, Pizzerien. Neben der Tram fährt auch die neue Metro C dorthin, es kommen junge Römer aus anderen Bezirken. Überhaupt ist das ein Trend: Je touristischer das historische Zentrum wird, desto stärker zieht es die Römer an die Peripherie. Diese neue Popularität macht Centocelle auch zu einem umkämpften Ort für die Mafia. Zehn Clans teilen sich die Stadt auf, schrieben die Zeitungen neulich. Die Blätter lieferten Stadtkarten mit Schraffierungen mit, Zone um Zone, so konnte man sich besser orientieren.

In Centocelle bekämpfen sich die alteingesessene Familie Senese, die aus der Nähe von Neapel stammt, und die relativ neu dazugekommene kalabrische 'Ndrangheta. Es geht um die Kontrolle des Territoriums und das reibungslose Dealen mit Drogen. Und für diese trüben Geschäfte in der Nacht ist ihnen jedes Licht zu viel. Jede Straßenlaterne, jede Lampe in den Lokalen, die auch nach Mitternacht noch offen sind. Aber ob das der Grund für die Brände ist? Das elektrische Schaf schloss immer spät. Es war ein Leuchtturm in der Finsternis.

© SZ vom 13.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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