Schauplatz Rio:Kurt Cobain und der Kaiser von Brasilien

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Ausgerechnet in Rio, der Heimat von Samba und Bossa Nova, wird nun eine Ausstellung über Grunge-Musik gezeigt. Genauer: Eine Huldigung der Band "Nirvana", inklusive exklusiver Selfie-Möglichkeiten.

Von Boris Herrmann

Das "Museu Histórico Nacional" in Rio bietet einen umfassenden Überblick über das Design königlicher Pferdekutschen im Wandel der Jahrhunderte. Schlange stehen muss man derzeit aber nur am Seiteneingang. Er führt zu einer temporären Ausstellung, in der es um die Musealisierung einer anderen wegweisenden Kulturtechnik geht: der Rockmusik. In einem Haus voller alter Kanonen und erlesener Kronen haben sie dort jetzt also auch zertrümmerte E-Gitarren, spätpubertäre Demotapes sowie einen grünbraunen Cardigan in die Vitrinen gelegt. Kurt Cobain, vielleicht nicht der Erfinder, aber gewiss der Säulenheilige und Märtyrer des Grunge, hatte ihn Anfang der Neunziger bei Konzerten getragen. Er wollte nie Mainstream sein und jetzt, keine 25 Jahre nach seinem Tod, teilt er sich bereits ein Museum mit dem Kaiser von Brasilien und der Prinzessin von Portugal. Andererseits bringt schon dieser Ort die ganze Geschichte von Cobain auf den Punkt: Der falsche Ruhm für die richtige Sache.

Zum ersten Mal hat die äußerst erfolgreiche Schau " Nirvana - Taking Punk to the Masses" ihre Heimat im EMP-Museum von Seattle verlassen. Nicht ganz klar ist, wie ausgerechnet Rio zu dieser Ehre kommt. Zwar hat diese Stadt drei bedeutende Musikstile hervorgebracht, den Samba, den Bossa Nova und den Baile Funk. Verzerrte Gitarren spielen aber in keinem von ihnen eine tragende Rolle. Im Januar 1993 hatten Nirvana im Sambódromo von Rio ein legendär schlechtes Konzert gegeben, bei dem das Solo von "Smells Like Teen Spirit" auf einer Trompete getrötet wurde. Nur Feinschmecker halten den Abend für den Höhepunkt der Bandgeschichte. Vielleicht ist diese Ausstellung also auch ein Versuch der Wiedergutmachung. Wobei die meisten Schulkinder, die jetzt mit Nirvana-Shirts in der Schlange stehen, damals noch nicht unter den verärgerten Zuschauern gewesen sein können.

Ausgerechnet in Rio wird das "Nirvana"-Interview über den Berliner Mauerfall gezeigt

Wenn nicht alles täuscht, dann interessieren sich die Massen, die sich nun durch das Historische Museum schieben, auch weniger für die kostbaren Raritäten dieser Schau: die beiden greisen Punks, die Cobain 1984 an der Kunsthochschule airbrushte, die Privatfotos von der Europa-Tournee 1989, als Nirvana etwa in Offenburg und Gammelsdorf auftraten, der Entwurf vom "Nevermind"-Cover mit dem handgeschriebenen Hinweis: "Falls jemand ein Problem mit dem Pimmel hat, können wir den auch entfernen." Was die Leute in Rio, der Welthauptstadt des Selfies, tatsächlich interessiert, ist die Bluebox, vor der man sich mit dem eigenen Handy auf dieses Cover mogeln kann (mit Original-Dollar-Note, aber ohne Babypimmel). Sehr interessant für Historiker dürfte das erste, nie ausgestrahlte Fernsehinterview der Band sein. Zwei Tage nach dem Mauerfall traten Nirvana im Ecstasy in Berlin-Schöneberg auf. Der Bassist Krist Novoselić berichtete wenig später: "Es kamen vor allem Westberliner. Diese armen Menschen aus dem Osten waren ja so lange abgeschnitten, die hatten nicht die geringste Ahnung von der Welt. Die mochten tatsächlich Bon Jovi."

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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