Schauplatz Moskau:Orthodoxe Weihnacht

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Zum orthodoxen Weihnachtsfest stehen die Menschen in Moskau vor der Christ-Erlöser-Kathedrale an. Die vergleichen manche mit einem Disneyschloss.

Von Silke Bigalke

Vor der Christ-Erlöser-Kathedrale reicht die Menschenschlange am großen Weih-nachtsbaum vorbei, dann unter den Stern-schnuppen hindurch, die als Lichtbögen wie vor einem Disneyschloss aufgestellt sind. Die Schlange reicht am Montagmittag, zum orthodoxen Weihnachtsfest, bis um die Ecke, so groß ist der Andrang. Ein Kirchbesuch gehört für viele zur Weihnachtstradition, und die Erlöser-Kathedrale gilt als Zentrum des russisch-orthodoxen Glaubens, seit sie wieder steht. Weil das aber erst seit dem Jahr 2000 so ist, haben Gegner sie tatsächlich schon mit einem Disneyschloss verglichen, sie als seelenlose Imitation des Originals kritisiert, das Stalin 1931 sprengen ließ. Die Messe in der Nacht zum Montag war dennoch gut besucht und dauerte bis lange nach Mitternacht. Die Polizei sperrte die Straßen und ließ ihre Warnblinkanlagen mit der Festbeleuchtung um die Wette blinken.

Nichts weist zum Fest auf den großen Tiefschlag hin, den die Kirche in diesen Tagen hinnehmen musste. Am Montagmittag schieben sich die Menschen mit Bündeln dünner Kerzen in der Hand an vergoldeten Altären und Ikonen vorbei, und vor manchen zünden sie eine Kerze an. Zur selben Zeit findet das Weihnachtsfest in Kiew statt, auch dort stehen die Menschen lange vor der Sophienkathedrale an. Sie wollen das Dokument sehen, das der orthodoxen Kirche in der Ukraine ihre Unabhängigkeit garantiert. Erst einen Tag zuvor hat es das neue Kirchenoberhaupt in Istanbul abgeholt. Die Ukraine ist seit 1991 unabhängig, nun hat sie sich auch kirchlich von Moskau gelöst. In beiden Ländern spielt die Kirche seit dem Ende der atheistischen Sowjetherrschaft wieder eine große Rolle, auch für das Nationalgefühl. Und in beiden Ländern nehmen Staatschefs auf sie Einfluss. Für den ukrainischen Präsidenten ist die Abspaltung daher ein politischer Triumph, für den Kreml eine bittere Niederlage. Den meisten Kirchgängern in Moskau dürfte das egal sein. Noch im Dezember hat eine Umfrage ergeben, dass die Mehrheit der Befragten in Russland, ob gläubig oder nicht, nicht sonderlich besorgt ist wegen der Abspaltung.

Im Puschkin-Museum drängen die Menschen in die Picasso-Ausstellung

Einige gehen gleich von der Kathedrale über die Straße ins Puschkin-Museum. Auch dort reicht die Schlange vor der Tür fast bis zur Straße, so gut besucht ist das Museum selten. Wenn man schon von Weihnachtstraditionen spricht, gehört es für viele Moskauer sicher dazu, die freien Tage mit viel Kultur zu füllen. Viele Besucher stehen hier, weil sie ohnehin in der Nähe waren, weil sie Zeit haben, oder weil sie irrtümlich annehmen, dass der Eintritt frei ist, wie es in vielen anderen Museen in den Weihnachtsferien der Fall ist. Im Puschkin-Museum drängen sie sich vor allem in die Picasso-Ausstellung, die von der Beziehung des Künstlers zu seiner Frau handelt, der russischen Balletttänzerin Olga Chochlowa. Er malte sie häufig, bis er eine andere Muse und Geliebte fand. Am Weihnachtstag laufen zwischen Porträts und Aktbildern des spanischen Künstlers nun viele Kinder durchs Museum, manche in Schneehosen, manche in Sonntagskleidern, mindestens eines mit Weihnachtsmannmütze.

© SZ vom 09.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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