Schauplatz Malmö:Von Mäusen und Schlagern

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Der jährliche Schlagerwettbewerb "Melodifestivalen" hält die schwedische Nation extrem in Bann. Mit der deutschen Variante, dem Auswahlverfahren für den Eurovision Song Contest, ist er aber nicht zu vergleichen.

Von Thomas Steinfeld

Vor einigen Wochen zirkulierte ein seltsames Thema durch die schwedische Öffentlichkeit: Im Schacht eines Kellerfensters in Malmö, am Saum einer vielbenutzten Straße, hatte ein Unbekannter eine Ladenzeile in Miniatur eingerichtet, gerade groß genug, dass eine Maus sich darin hätte zurechtfinden können. Links ein Ladengeschäft (im Angebot: Nüsse), rechts ein Restaurant (Spezialität: Käse und Cracker), beide in südländischem Stil hergerichtet, mit Anschlagtafeln und Tischen im Freien, und alles mit großer Liebe zum naturgetreuen Detail gestaltet. Die Zeitungen waren begeistert, die Fernsehsender auch. Es kamen sogar Auslandskorrespondenten. Bald gab es eine kontinuierliche Berichterstattung, die sich noch steigerte, als eine lebendige Maus vor der Ladenzeile fotografiert werden konnte - und als die Mäusepuppenstube den Vandalen zum Opfer fiel. Aber sie wurde schnell wieder aufgebaut, und sie steht wohl heute noch.

Es erinnert an diese imaginäre Mäusewelt, wenn in diesen Wochen in Schweden der jährliche Schlagerwettbewerb, "Melodifestivalen" genannt, ausgerichtet wird. Mit der deutschen Variante, dem Auswahlverfahren für den Eurovision Song Contest, ist er nicht zu vergleichen. Über sechs Wochen zieht sich das Spektakel hin, 28 Sängerinnen und Sänger nehmen an den Vorentscheidungen teil, die auf die wenigen großen Städte Schwedens verteilt sind. Am Wochenende wurde in Malmö die zweite Runde ausgetragen. Es nahmen unter anderen teil: eine Eisprinzessin, ein Eingeborener unbestimmter Herkunft, eine Prophetin der Liebe und ein Vater in Unterhosen, lauter allegorische Gestalten also, in denen der Unterschied zwischen Schlagerfestival und Karneval verschwand. Das Publikum war begeistert: Rund vier Millionen Menschen verfolgten die Sendung im Fernsehen, genauso viele, wie in Deutschland bei der Kür des Kandidaten für den Eurovision Song Contest zuschauten, dessen Finale im Mai in Kiew stattfinden wird. In Deutschland leben aber achtmal so viele Menschen wie in Schweden.

Nun ist es aber so, dass Schweden bei dem Wettbewerb oft gewinnt und Deutschland oft verliert - ganz abgesehen davon, dass schon seit Jahren die Schlager der halben Welt von schwedischen Autoren geschrieben werden. Überhaupt ist ja dieser Wettbewerb, weil nach Nationen und auf der Grundlage von direkten Wahlen entschieden wird, für die kleinen Staaten Europas eine einzigartige Gelegenheit, sich mal vor aller Augen gegen die Großen und Mächtigen auf dem Kontinent durchzusetzen. Mit um so größerem Engagement sind sie dabei, wobei im Fall Schwedens eine erstaunliche, gänzlich ungebrochene Begeisterung für den jeweils herrschenden internationalen Standard hinzukommt. Doch außer um Enthusiasmus geht es um fast nichts, und so kommen der Schlagerwettbewerb und die südländische Ladenzeile für schwedische Mäuse am Ende doch zusammen.

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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