Schauplatz Buenos Aires:Ein Selfie im Pool

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Der Museumsrenner in der Stadt ist weiterhin die Ausstellung mit Werken von Leandro Erlich - der gern mit Banksy verglichen wird. Er mag nicht ganz so sozialkritisch sein wie sein britischer Kollege, aber seine Illusionskunst ist großartig.

Von Christoph Gurk

Es ist sicherlich kein Zufall, dass in Buenos Aires die erfolgreichste Ausstellung des Jahres - ach, vielleicht des Jahrzehnts! - die Schau des argentinischen Künstlers Leandro Erlich ist. Im Juli wurde sie eröffnet, aber immer noch warten jeden Tag Hunderte Besucher vor dem Malba, dem Museo de Arte Latinoamericano de Buenos Aires. Manchmal reicht die Schlange ein, zwei Blocks weit, so groß ist der Andrang.

Tatsächlich ist Erlich einer der erfolgreichsten südamerikanischen Künstler der Gegenwart. Er hat sein Land bei der Biennale in Venedig repräsentiert, seine Werke stehen in Museen auf der ganzen Welt. "Banksy Porteño" wird Erlich manchmal genannt, was bedeuten soll, dass er eine argentinische Variante des berühmten englischen Krawall-Künstlers ist. Das klingt gut, stimmt aber nur bedingt. Denn Erlich macht zwar auch Kunst, die leicht zugänglich ist; dazu ist sie auch noch schön gesellschaftskritisch und vor allem shareable, man kann Fotos von den Werken also hübsch teilen in den sozialen Netzwerken. Allerdings ist Erlich anders als Banksy kein Guerilla-Künstler, er macht keine Streetart, sondern vor allem optische Täuschungen. "El gran Ilusionista", der große Illusionist, wird Erlich darum auch genannt, was viel besser passt für jemanden, der mit Spiegeln einfach mal die Spitze des berühmten Obelisken im Zentrum von Buenos Aires wegzaubert. Erlich lässt Wolken in Räumen schweben und Menschen durch Schwimmbecken gehen, die so aussehen, als seien sie mit Wasser gefüllt.

Es war dieser Pool, mit dem Erlich 1999 berühmt wurde. Heute ist das Werk im Malba ausgestellt, zusammen mit knapp zwei Dutzend weiteren Arbeiten. Es ist die erste große Schau von Erlich in Lateinamerika, der Künstler hat dazu gleich noch ein "Zu verkaufen"-Schild an das Museum gehängt. "7455 m², passend für jeden Zweck", steht da, dazu bekäme man 680 Kunstwerke ("Frida, Diego, etc."), eine schöne Terrasse und auch den Pool, den Erlich selbst in das Museum gestellt hat. Das ist natürlich ein Wink mit dem Zaunpfahl, Kunst und Käuflichkeit, schon klar. Im krisengeplagten Argentinien bekommt die Schau aber noch einen weiteren Dreh. Das Land steht kurz vor dem Wirtschaftscrash, die Inflation ist die zweithöchste weltweit, und ein Drittel der Bevölkerung lebt mittlerweile unter der Armutsgrenze, viele davon in den Villas Miserias, den argentinischen Favelas, mit Hütten aus Wellblech und groben Ziegeln. Erlich hat die Fassade solch einer Behausung vor das Malba gepflanzt, in vier bis fünf Meter Höhe schwebt sie vor dem Museum in der Luft, gehalten nur von einer Leiter. Dahinter glitzern die schicken Wolkenkratzer, in denen die Schönen und Reichen der Stadt wohnen.

Erlich hat das vermutlich als Sozialkritik verstanden. Die meisten Besucher sehen in der fliegenden Hüttenfassade aber vor allem eine gute Kulisse für ein Selfie. So läuft das auch im Rest der Ausstellung: Besucher vor Kunstwerk, immer die Handykamera in der Hand. Bitte lächeln, was zählt, ist das Foto, die Botschaft dagegen dürfte vielen egal sein. So erklärt sich der Erfolg von Erlichs Schau vermutlich auch nicht mit der Sozialkritik des Künstlers, sondern mit dem Bedürfnis der Menschen, einmal ganz kurz der Realität zu entfliehen, Wolken neben sich fliegen zu sehen oder abzutauchen, und sei es nur in einen Pool mit imaginärem Wasser.

Am 26. Oktober endet die Ausstellung, am Tag darauf wählt Argentinien einen neuen Präsidenten. Zufall? Vielleicht. Sicher ist: Wer auch immer die Wahl gewinnt, bekommt ein Land am Abgrund. Man könnte auch sagen: Keine Zeit mehr für schönen Schein.

© SZ vom 16.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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