Schauplatz Buenos Aires:Aufgeheizte Sommerfrische

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Im Januar ist auf der Südhalbkugel Hochsommer, in Buenos Aires zieht es alle zur Abkühlung an den Strand. In diesem Jahr wird aber nicht nur gebadet, sondern intensiv über Sexismus und Geschlechterrollen diskutiert.

Von Christoph Gurk

Im Januar geht in Buenos Aires nichts mehr. Es ist Hochsommer auf der Südhalbkugel und in der argentinischen Hauptstadt verwandelt sich die Luft in eine klebrig-heiße Suppe. Wer irgendwie kann, flieht. So setzt eine wahre Völkerwanderung ein, von der Millionenmetropole am Rio de la Plata hin zum Meer, in die Badeorte an der Atlantikküste, wo man sich dann wieder, eng an eng, im Sand wälzt.

Das sonst so zentralistische Argentinien, in dem sich alles, was irgendwie von Bedeutung ist, in der Hauptstadt ballt, verschiebt seinen Dreh- und Angelpunkt für ein paar Wochen nach Süden, an den Strand. Die sonst so hektische Avenida Corrientes im Zentrum von Buenos Aires, wo sich Theater an Theater reiht, wird angenehm ruhig. Viele Produktionen ziehen den Zuschauern hinterher ans Meer. Die wichtigsten Musiker treten im Januar nicht mehr in den Clubs der Hauptstadt auf, sondern auf Freilichtbühnen in Badeorten. Und auch die Zeitungen berichten hauptsächlich vom Strand.

Lange Zeit beschränkte sich die Berichterstattung dabei auf die Frage, wer sich mit wem ein Handtuch teilt, dazu gab es täglich neue Bilder von irgendwelchen Sternchen im Bikini, je knapper, desto besser. So war das zumindest bisher, doch diesen Sommer ist alles anders. Denn im Macholand Argentinien gewinnt eine neue Frauenbewegung immer mehr an Einfluss und welche Durchschlagskraft sie mittlerweile hat, zeigt sich nun, im sonst eher Debatten freien Sommer.

So ist das meistdiskutierte Buch gerade nicht etwa ein seichter Strandroman, sondern "Solas", eine Brandrede gegen Machokultur und für mehr Solidarität unter Frauen. Dazu sorgte auch nicht etwa die neuste Strandmode oder die Affäre eines TV-Sternchens für erste große Aufreger am Beginn der Saison, sondern der sexistische Werbespot einer großen Biermarke. Eine junge Frau wird in ihm von ein paar muskulösen Beachboys mehr oder minder handgreiflich zum Biertrinken überredet. Das war alles lustig gemeint, kam aber schlecht an in einem Land, in dem solche Überredungsversuche allzu oft in sexuellen Übergriffen enden. Selbst die argentinische Boulevardpresse, die sonst nicht gerade durch feministische Positionen glänzt, druckte empörte Artikel. Der Hersteller entschuldigte sich und der Spot wurde gestoppt, die Diskussion aber ging weiter.

Auf einmal stehen die Fleischbeschau am Strand und sogar altehrwürdige männliche Grillrituale auf dem Prüfstand. Ihren traurigen Höhepunkt erreichte die Diskussion dann, als ein junger Mann im Badeort Villa Gesell von den Mitgliedern einer Rugbymannschaft totgeprügelt wurde. Was früher als tragischer Zwischenfall unter ein paar Betrunkenen abgetan worden wäre, löste eine Diskussion über die Folgen einer toxisch-männlichen Sportkultur aus.

Bald ist die Saison vorbei, die Urlauber kommen zurück, die Strandbräune verschwindet, was bleibt, ist das Gefühl eines Sommers, der anders war, als die zuvor.

© SZ vom 29.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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