Schauplatz Bern:Probleme mit dem "Chuchichäschtli"

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"Lassen Sie es bleiben", rät der Autor Thomas Küng in seiner "Gebrauchsanweisung für die Schweiz": Wenn Zugezogene aus Deutschland Schweizerdeutsch sprechen wollen, machen sie sich unbeliebt.

Von Isabel Pfaff

Natürlich ist die Schweiz in vielerlei Hinsicht besonders. Das politische System, die kulturelle Vielfalt, die Landschaft: einmalig. Wirklich alleine auf der Welt, das darf man so sagen, steht die Alpenrepublik aber mit ihrem komplizierten Verhältnis zur eigenen Sprache. Hier pflegen insbesondere die Deutschschweizer eine Art Kult, den vollständig zu ergründen für Ausländer wohl ein Ding der Unmöglichkeit ist. Aber der Reihe nach.

Für die meisten Menschen, die neu in einem fremden Land ankommen und planen, eine Weile zu bleiben, dürfte es sich von selbst verstehen, dass man sich bemüht, die Landessprache zu verstehen und, wenigstens ein bisschen, auch zu sprechen. Dass es hier mit dem Singular so eine Sache ist: geschenkt. Das Schweizerdeutsch gibt es so nicht, stattdessen gliedert sich der germanophone Sprachraum von St. Gallen über Zürich bis Bern in unzählige Varianten. Für sprachlich einigermaßen aufgeschlossene Zuzügler stellt das in der Regel kein großes Problem dar. Ein paar Monate oder vielleicht auch ein Jahr nach der Ankunft in der Eidgenossenschaft versteht man die meisten Dialekte grob. Wer sich dennoch schwertut, kann einen der vielen Mundart-Kurse besuchen, die die Migros-Klubschule, so etwas wie die deutsche Volkshochschule, überall im Land anbietet. Meistens sind sie gut besucht, immerhin hat ein Viertel der acht Millionen Menschen, die in der Schweiz leben, keinen Schweizer Pass. Hinzu kommen die franko- und italophonen Schweizer, die auch verstehen möchten, was ihre deutschsprachigen Mitbürger reden.

Wirklich kompliziert wird es, wenn es ans Sprechen geht. Denn das tun, Mundart-Kurse hin oder her, praktisch nur die Deutschschweizer selbst. Insbesondere den Zugezogenen aus Deutschland wird schnell signalisiert, dass das Thema Sprache in der Schweiz ein sensibles ist, von dem sie besser Abstand nehmen sollten. "Lassen Sie es bleiben", rät etwa der Autor Thomas Küng in seiner "Gebrauchsanweisung für die Schweiz". Als Deutscher Schweizerdeutsch sprechen zu wollen, wirke "nicht einmal in erster Linie anbiedernd, es berührt vor allem peinlich". Und so ist die Deutschweiz wohl der einzige Landstrich dieser Erde, wo zwar darauf bestanden wird, dass man die Sprache der Einheimischen einigermaßen versteht, man sich als Deutsche aber ziemlich unbeliebt macht, wenn man sich selbst daran versucht.

Das liege alles nur am helvetischen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem großen Nachbarn, wenden die meisten Schweizer an dieser Stelle ein. So ganz nimmt man den welt- und fremdsprachengewandten Eidgenossen dieses Narrativ vom eigenen Hinterwäldlertum nicht ab. Aber wahrscheinlich dürfen Ausländer erst dann ganz unbefangen Schweizerdeutsch sprechen, wenn wirklich auch der letzte Deutsche aufgehört hat, sich über die hohen Preise in "Fränkli" zu beschweren oder über das "Chuchichäschtli" zu kichern.

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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