Schauplatz Berlin:Zwischen Kreisel und Pinsel

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Wie in Steglitz, wo es das berüchtigte Kreisel-Hochhaus gibt, die Siebzigerjahre demnächst reanimiert werden.

Von Jens Bisky

Busse halten, Taxis warten, von der Autobahn her rauscht es wie ein Meer, das keinen rechten Rhythmus findet. Es ist voll wie immer, die Mienen der Vorübereilenden verraten nicht, ob sie zu den Schnäppchenjägern, den Gutscheineinlösern oder den Umtauschern gehören. Kaum einer schaut nach oben, wo in exakt 118,5 Metern Höhe der Steglitzer Kreisel endet, ein dunkles Hochhaus, gepfropft auf einen Komplex aus U-Bahnhof, Hotel, Busbahnhof, Shopping-Allerlei.

Das Haus steht lange leer. Stadtführer könnten berichten, wie mit diesem Werk der Architektin Sigrid Kressmann-Zschach die heroische Periode der Berliner Bauskandale begann, mit allem, was dazugehört: Bürgschaft, Korruption, ein bisschen Erotik, Insolvenz, Untersuchungsausschuss, Kostenexplosion, Asbest.

Steglitz hat im Ensemble der Berliner Ortsteile die Rolle des Spießers übernommen und fährt ganz gut dabei. Die Freunde des Angesagten verirren sich nicht hierher, man kann also unbeobachtet und unkommentiert sein und muss sich die Schlossstraße nur selten mit Touristen teilen. Zum Ku'damm fährt man, um sich beim Shoppen zuschauen zu lassen, in die Schlossstraße geht man, um einzukaufen. Nur das leer stehende Kreisel-Hochhaus dämpft die gute Laune der Unbeobachteten. In diesem Jahr veröffentlichte das Leipziger Büro Fuchshuber Architekten im Auftrag eines Projektentwicklers einen Entwurf für das ungeliebte Gebäude, in dem zuletzt das Bezirksamt residierte. Wohnungen sollen da rein, für 4200 bis 9000 Euro Quadratmeterpreis, zirka. Helle Fassade, Balkone - das wirkt solide und kühn, so neben der Autobahn. Auch der Komplex darunter wird generalüberholt.

Von den Balkonen könnte man dereinst auf ein anderes, wenige Schritt entferntes Kleinod der West-Berliner Baugeschichte schauen: den Bierpinsel, entworfen von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte. Auch dort durchschneidet eine Hochstraße die Südwest-Idylle, liegt ein U-Bahnhof darunter, herrscht Leerstand. Aber die Eigentümer haben die Sanierung des Pop-Baus und den Wiederbeginn des Kneipenbetriebs angekündigt. Ja, 2017 wird entscheidend, wenigstens für Steglitz. Es behielte seinen Ruf, gewiss, könnte aber - wieder einmal - vorexerzieren, was sonst in Berlin so schwerfällt: wie man die Siebzigerjahre-Moderne reanimiert.

© SZ vom 30.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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