Schauplatz Berlin:Wem die Kaffeekanne flüstert

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Eine von Airbnb gesponserte Ausstellung am Tempelhofer Ufer fragt, wann man in einer Stadt zu Hause ist. Naja, denkt sich der Berliner: Wenn man hier zu Hause sein will, dann ist man es auch.

Von Jens Bisky

Weil die Mieten hoch sind, vermieten viele gern mal ein Zimmer oder ihre Wohnung an Besucher; die Vermittlungsplattform Airbnb hat daraus ein Geschäft gemacht. Weil so viele über Airbnb, das bekannteste unter den Vermittlerunternehmen, etwas dazuverdienen, steigen die Mieten, sagen Kritiker. Das Geschäftsmodell zerstöre die Urbanität, die es bewirtschafte. In Berlin gilt seit Mai 2014 ein Zweckentfremdungsverbot, illegalen Ferienwohnungsvermietern drohen heute Bußgelder in Höhe eines ordentlichen Jahresgehalts.

Nichts hingegen kostet der Eintritt in eine Ausstellung, die Airbnb seit Donnerstag am Tempelhofer Ufer präsentiert. Im Halleschen Haus, wo einst das Postamt 61 war, hat das Kreuzberger Künstlerduo 44flavours eine Art Berlin aufgebaut, um der Frage nachzugehen, wann man in einer Stadt zu Hause sei. Na, hier ist man zu Hause, wenn man es sein will, denkt der Berliner. Weiß doch jeder, dass der Wille, Berliner zu sein, ausreicht, um einer zu werden.

Vor zehn Jahren dachten viele, jetzt sei Schluss mit Bauen und Verändern. Aber denkste . . .

Die drei Stationen des Rundgangs können auch Abgebrühte unter den Einheimischen amüsieren. Es beginnt mit einer Stadtlandschaft aus Karton (bitte an Umzug denken!). Brandenburger Tor, Fernsehturm, Oberbaumbrücke, Mauer sind zu erkennen. Es wirkt eng, ein wenig monoton, herausfordernd. Die Stadt rückt einem auf die Pelle. Gut, dass nach ein paar Schritten die Tür sich öffnet in ein Wohnzimmer, das 44flavours, also Sebastian Bagge und Julio Rölle, eigens designt haben: ein bequemes Sofa, ein schönes Regal, Zimmerpflanze, Tisch, Teppich und eine Wand voller Bilder, Erinnerungsstücke, Kunst in Petersburger Hängung. Bunte Kaffeekannen stehen herum, wer sie ans Ohr hält, dem flüstern sie was. Man hört Berlin-Geschichten von Ankunft, Irritationen, Heimischwerden. Auf den Seiten eines übergroßen Buches kann man Menschen zusehen, die von sich und ihrem Berlin erzählen. Ein paar Schritte weiter ist Schluss mit dem bloßen Glotzen, dort kann man selber am Bild der Stadt arbeiten: vor einem Spiegel was erzählen, spätere Besucher werden es auf den Buchseiten sehen; in Grammofone sprechen, das wird später aus Kaffeekannen tönen; etwas in ein Notizbuch schreiben, andere werden es an der Wohnzimmerwand lesen. Am interessantesten wird die Ausstellung also sein, kurz bevor sie am Sonntag schließt, voller Geschichten, Meinungen, Impressionen.

Das haben wir immer gewusst, werden Berlin-Verächter jetzt denken, an Spree, Panke, Landwehrkanal wird man zugetextet, ausgesetzt den nicht zu stoppenden Redeschwällen über Belanglosigkeiten, als sei dieser Späti oder jene Kreuzung etwas welthistorisch Einzigartiges. "Einzigartiger als anderswo" wird es schon sein, denkt der Berliner und freut sich über die Geschichten. Nicht nur, weil er wie alle Zeitgenossen die Selbstbespiegelung liebt, sondern weil er nur im Dauergeplapper halbwegs den Überblick behalten kann, was gerade wo wie los ist. Man hatte ja vor zehn Jahren gedacht, dass es mit dem Bauen und Verändern nun ein Ende habe, dabei scheint es gerade erst richtig loszugehen. Und weil man da schwer mitkommt, lässt man sich das Geschehen gern erzählen von denen, die es frisch erleben, als würde die Stadt zum ersten Mal umgekrempelt.

Airbnb verteilt Tipps, wie man ein richtiger Berliner werden könne: alle Kulturen schätzen, nicht nur das Hipster-Wesen; sich auch außerhalb des Berghain umsehen; eine Nacht vor einem Späti verquatschen; das Herumstehen auf Fahrradwegen vermeiden. Ergänzen möchte man: nicht glauben, dass man Zu- und Glücksfälle buchen kann; und Freunde suchen, die ein Bett frei haben in ihrer bezahlbaren Wohnung.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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