Schauplatz Berlin:Über den Pilzkopfstützen

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Die Hauptstadt liebt ihre Baustellen. So sehr, dass sie entweder nie fertig werden. Oder aber, dass gleich nach irgendeiner Fertigstellung in unmittelbarer Nähe wieder etwas Neues auf- oder abgerissen wird. Ein Fest für Archäologen sind sie allemal.

Von Jens Bisky

Frust und Freude der Stadt hängen an den Baustellen, nicht nur an der einen im Südosten, deren Name bis zur unwahrscheinlichen Eröffnung nicht mehr genannt werden soll. Baustellen sind überall, wer etwa durch die Mitte geht, muss an ihnen vorbei, um sie herum. Baustellen brauchen in Berlin viel Zeit, und wenn sie dann vollendet sind, dann möchte man sehr oft gleich wieder von vorn mit dem Bauen beginnen. Am schönsten ist es zum Richtfest: Etwas ist fertig geworden und doch noch nicht vollendet, es lässt sich Gutes hoffen.

In dieser Woche wurde im Untergrund neben dem Roten Rathaus Richtfest gefeiert, danach konnte jedermann den neuen U-Bahnhof bestaunen, durchs Gleisbett wandeln, in dem noch keine Gleise liegen, und heraufschauen zu den sieben Pilzkopfstützen, die die Decke tragen. Mit ihnen hat dieser U-Bahnhof was Eigenes. Gegen einige Bedenken, es könne zu teuer werden oder sei zu ungewöhnlich, hat der Architekt Oliver Collignon sich durchgesetzt. Die Stützpfeiler, die aussehen wie Riesenpilze im Zeichentrickfilm, sehr schlank, sieben Meter hoch, mit wuchtigen, trichterförmigen Köpfen, von denen jeder gut vierzig Tonnen wiegt, sollen auch an gotische Konstruktionen erinnern. Schließlich stand an dieser Stelle bis ins 19. Jahrhundert das mittelalterliche Rathaus.

Der Bahnhof gehört zur Linie U 5, die derzeit am Alexanderplatz endet, dereinst aber über die Haltestellen Rathaus, Museumsinsel, Brandenburger Tor und Bundestag zum Hauptbahnhof führen soll. Die Arbeiten an dieser Station waren - trotz der kecken Stützpfeiler - vergleichsweise einfach. Ein Tunnel aus den Zwanzigerjahren, der nach dem Krieg als Wendeanlage genutzt wurde, konnte saniert und für die Verlängerung genutzt werden. Eine neue Wendeanlage entsteht auf der unteren Ebene des doppelstöckigen Bahnhofs Rotes Rathaus.

Wer in der Berliner Mitte gräbt, findet auch Spuren der asphaltierten oder unter Grünanlagen verborgenen Stadtgeschichte. An dieser Stelle haben Archäologen des Landesdenkmalamtes Gewölbereste, Münzen, Würfel und Skulpturen der klassischen Moderne gefunden, die von den Nazis beschlagnahmt worden waren. Seit August graben wieder Archäologen, um freizulegen, was vom Ratskeller und der Gerichtslaube noch übrig ist. In einem archäologischen Fenster, so der Plan, können die Funde präsentiert werden.

Wenn eines Tages die U 5 von Hönow, dem östlichsten Vorposten der Berliner U-Bahn, bis zum Hauptbahnhof rollt, dann werden wohl 155 000 Fahrgäste täglich ein- und aussteigen. Neue Bahnlinien und Straßen verändern die Stadt stärker als Fassaden, Wohnsiedlungen und Werbekampagnen, weil sie in den urbanen Rhythmus eingreifen, neue Bewegungsmuster ermöglichen und erzwingen. Das will man gern erleben, auch wenn auf pünktliche Inbetriebnahme - geplant 2020 - nicht gewettet werden soll. Hoffentlich sitzt dann ein Regierender Bürgermeister im Roten Rathaus, der etwas von Baustellen versteht.

© SZ vom 09.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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