Schaubühne Berlin:Das hat die Gewalt aus ihnen gemacht

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Auf der Suche nach der Wahrheit: Dmytro Oliinyk in dem Stück "Sich waffnend gegen eine See von Plagen", einem Projekt von Stas Zhyrkov und Pavlo Arie an der Berliner Schaubühne. (Foto: Gianmarco Bresadola)

Ukrainische Theatermacher zeigen an der Berliner Schaubühne ein beklemmendes Kriegsstück.

Von Peter Laudenbach

"Erlaubst du mir, dass ich ukrainische Schlampen vergewaltige?", fragt der russische Soldat seine Frau am Telefon. Die Frage amüsiert sie. Das sei schon okay, aber "erzähl mir nichts davon und benutz Kondome", bittet sie ihren Mann. Die Einspielung der vom ukrainischen Geheimdienst abgehörten Telefonate zwischen russischen Soldaten und ihren Familien in der Heimat ist nicht die einzige Stelle des Theaterabends an der Berliner Schaubühne, an der einem kurz schlecht werden kann. Der ukrainische Regisseur Stas Zhyrkov und sein Dramaturg Pavlo Arie arbeiten sich in ihrer Dokumentarinszenierung durch den Horror des Krieges in ihrer Heimat. "Wir machen keine Propaganda, wir erzählen von den Gefühlen der Menschen. Alles, was wir zeigen, ist die tägliche Realität dieses Krieges", sagt der Regisseur am Nachmittag nach der Premiere im Gespräch mit der SZ.

"Ich erzähle den Menschen in Deutschland mit unserer Arbeit, was in der Ukraine wirklich geschieht", sagt der Regisseur

Der Titel seiner Inszenierung, "Sich waffnend gegen eine See von Plagen", ist ein Zitat aus Hamlets "To be or not to be"-Monolog. Das Stück wollte Zhyrkov im Februar eigentlich an seinem Left Bank Theatre in Kiew inszenieren, dann marschierte Putins Armee ein. "In der ersten Woche des Krieges dachte ich, dass ich nie wieder Theater machen werde. Was soll Theater in so einer Situation ausrichten?", sagt der Regisseur. "Aber ich will nicht mit der Waffe in der Hand kämpfen, ich kann das nicht. Also muss ich mein Land auf andere Weise verteidigen. Ich erzähle den Menschen in Deutschland, in Polen und anderen Ländern mit unserer Arbeit, was in der Ukraine wirklich geschieht." Zhyrkov macht weiter Theater, das ist seine Waffe. Aber viele seiner Freunde und Kollegen haben sich freiwillig zur ukrainischen Armee gemeldet: "Schauspieler unseres Theaters kämpfen jetzt an der Front. Einer von ihnen ist seit zwei Monaten vermisst, ein anderer wurde schwer verwundet." Das sind harte, bittere Sätze. Stas Zhyrkov, ein nachdenklicher, ernster Mensch, sagt das gänzlich unpathetisch: So ist die Situation, alle müssen versuchen, damit irgendwie zurechtzukommen.

Für Zhyrkovs Inszenierung kommen zwei Schauspieler seines Kiewer Theaters, Oleh Stefan und Dmytro Oliinyk, mit Holger Bülow aus dem Schaubühnen-Ensemble zusammen. Das sparsame Bühnenbild (Jan Pappelbaum) zeigt, dass hier keine Show, sondern eine Suche nach der Wahrheit stattfindet: Auf einem langen Tisch sind Filmdosen gestapelt. Ihre Farbe, Orange, erinnert an die Maidan-Revolution, den ukrainischen Aufstand gegen die russische Hegemonialpolitik. Zuerst erzählen die beiden Ukrainer, dass es lange fast egal war, ob jemand sich als Russe oder Ukrainer verstanden hat. Die Leute haben halt irgendeine Nationalität in den sowjetischen Pass eingetragen. Man muss Oleh Stefan und Dmytro Oliinyk für die komödiantische Kraft und die Leichtigkeit ihres Spiels bewundern: Die Welt ist schrecklich, lass uns ein paar Witze machen. Der ukrainische Humor ist offenbar nicht die schlechteste Waffe, um in dieser Lage nicht den Verstand zu verlieren.

Das Stück hält auch die Verrohung der ukrainischen Seite nüchtern fest

Natürlich wollten die beiden ukrainischen Schauspieler in jungen Jahren am liebsten an der berühmten Theaterhochschule in Moskau studieren, und natürlich verkneifen sie sich nicht den kleinen Scherz, dass es ihnen ging wie den Figuren bei Tschechow mit ihrem berühmten, ewig unerfüllten Sehnsuchtsseufzer: "Nach Moskau, nach Moskau ..." Die Jugenderinnerungen zweier Schauspieler aus Kiew genügen, um zu sehen, wie schrecklich absurd Putins Krieg ist. Holger Bülow, der deutsche Schauspieler, erzählt, stellvertretend für das Publikum, von der eigenen Unsicherheit bei der ersten Begegnung mit den Kollegen aus der Ukraine: "Krieg fand für mich immer nur in den Fernsehnachrichten statt und war weit weg." Das ist vorbei.

Das wichtigste Element des Abends sind die Interviews mit den Kiewer Schauspielerkollegen, die jetzt als Soldaten kämpfen. "Ich hatte Angst, dass ich seelisch zerbreche, wenn ich mich jetzt nicht zur Armee melde", sagt einer von ihnen. "Du weißt, dass du sterben kannst und dass du vielleicht andere Menschen töten wirst. Das musst du verstehen und eine Balance finden." Das kommt ohne heroische Posen aus, es sind nüchtern festgehaltene Tatsachen: "Es fühlt sich an, als ob du keine andere Wahl hast." Fast genauso lakonisch wird der Hass zu Protokoll gegeben. Mitleid mit den russischen Soldaten hat keiner der interviewten Soldaten, im Gegenteil: Der "Feind", die "russischen Bastarde" sollen einfach sterben oder verschwinden. In seinem Tagebuch genießt der Dramaturg Pavlo Arie, ein Zivilist, seine Gewaltfantasien, die "russischen Orks" abzuschießen wie in einem Computerspiel. Zur Ehrlichkeit des Regisseurs gehört, dass er die Verrohung der eigenen Seite, seiner Freunde und Theaterkollegen, nüchtern festhält: Das hat der Krieg aus uns gemacht.

"Ich weiß nicht, wie viele Jahre es dauern wird, aus diesem Gefängnis der Gewalt herauszukommen"

Zwischen diese Interviews aus dem Kampfgebiet sind alte Bilder von Theaterauftritten der Schauspieler geschnitten, die jetzt in der Armee dienen. Die Diskrepanz zwischen den schönen, verrückten, überschäumend vitalen Theaterszenen auf den Fotografien und ihren Berichten davon, wie sie sich bei Artilleriebeschuss in Erdlöchern verschanzen, ist schwer erträglich. Man sitzt als verwöhnter Westeuropäer an diesem Abend sehr ratlos und hilflos im Zuschauerraum der Schaubühne.

Auf die Frage, ob es so etwas wie Hoffnung gibt, kommen von Stas Zhyrkov, dem Regisseur, wieder einige seiner trockenen, illusionslosen Sätze. "Ich bin der ukrainischen Armee sehr dankbar. Es wird ein harter Weg für jeden in der Ukraine. Wir müssen unser Land nach dem Sieg wieder aufbauen. Ich habe viele Fragen an mein Land. Ich liebe nicht jeden unserer politischen Anführer, es gibt viele Scheißkerle. Ich weiß nicht, wie viele Jahre es dauern wird, aus diesem Gefängnis des Wahnsinns, dem Gefängnis der Gewalt herauszukommen. Das ist ein langer Kampf. Und ich hoffe, dass unser Theater ein Teil dieses Kampfes ist."

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