Berliner Schaubühne:Wut- und Blutbürger

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Amoklauf aus Gründen der Ehrverletzung: Renato Schuch (hinten) ist "Michael Kohlhaas". (Foto: Gianmarco Bresadola)

An der Berliner Schaubühne liefern Simon McBurney und Annabel Arden mit Kleists "Michael Kohlhaas" sehr gekonnten Schulfunk.

Von Peter Laudenbach

Es ist ja auch zu verführerisch: Heinrich von Kleists Novelle "Michael Kohlhaas" mit dem aus Gründen der Ehrverletzung Amok laufenden "Mordbrenner" scheint das ideale Spiegelbild zu den Zornausbrüchen heutiger Wutbürger und Moral-Fundamentalisten aller Couleur zu bieten. Wie ein entfernter Gesinnungsverwandter entsicherter Zeitgenossen, die "Widerstand!" skandieren und rechtstaatliche Standards am liebsten durch Selbstjustiz ersetzen wollen, oder der Moral-Rechthaber mit Hang zum Dogma und Alleinvertretungsansprüchen verschafft sich Kleists Kohlhaas sein eigenes Recht, oder was er dafür hält. Notfalls, indem er ganze Städte niederbrennt. Kein Wunder, dass Theateradaptionen der Novelle Konjunktur haben. Jetzt bereitet Simon McBurney, ein Weltstar des Theaters zusammen mit Annabel Arden, wie er Gründungsmitglied der britischen Theatergruppe "Complicité", den Klassiker an der Berliner Schaubühne auf, und in der kommenden Spielzeit folgt Andreas Kriegenburg am Deutschen Theater Berlin.

Arden und McBurney, der eigentlich ein Virtuose des videoverstärkten Theaterbudenzaubers ist, setzen an der Schaubühne mit britischem Pragmatismus auf die eher trockene, didaktisch wertvolle Schulfunkvariante mit Textlieferanten-Schauspielern hinter rampenparallel aufgestellten Mikrofonen. Als kleines Ironiesignal sieht man vor Beginn der Show auf der Leinwand im Hintergrund kurz die einschlägige Reclam-Ausgabe. Und genau das folgt dann auch: das durchaus effektbewusst nacherzählte Reclamheft, ein in Zeiten des Bildungsverfalls zweifellos ehrenwertes Nachsitzen im klassischen Kanon-Programm, aber nicht unbedingt ein übermäßig vielschichtiger Theaterabend.

Kohlhaas handelt entsetzlich, nicht obwohl, sondern weil er ein rechtschaffener Typ ist

Sozusagen als Themenüberschrift und Leitfrage der Klassenarbeit wird dem Abend mit einem Briefzitat Kleists das im Folgenden behandelte Problem im Spannungsfeld zwischen dem Staat und seinem Staatsbürger vorangestellt: "Ich soll tun, was der Staat von mir verlangt. Zu seinem unbekannten Zweck soll ich ein bloßes Werkzeug sein. Ich kann es nicht." Womit eine etwas grobschlächtige Identifikation des Autors mit seiner Figur nahegelegt wird (samt dem impliziten Identifikationsangebot für den Anarchisten, den jeder gutbürgerliche Theaterbesucher in übermütigen Momenten in sich vermutet).

Dann kann es losgehen mit der auf fünf Sprecher um den Kohlhaas-Darsteller Renato Schuch verteilten Erzählung des sich aus aller menschlichen Ordnung herauskatapultierenden Rosshändlers Kohlhaas, laut Kleist einer der "rechtschaffendsten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit". Wobei Rechtschaffenheit und das Talent, Furcht und Schrecken zu verbreiten, einander nicht korrigieren, sondern sich gegenseitig verstärken: Kohlhaas handelt entsetzlich, nicht obwohl, sondern weil er so gnadenlos rechtschaffen ist.

Wie zur Legitimation seines Amoklaufes geschieht ihm in sich steigernden Stufen von Seiten der Obrigkeit Unrecht: Ein willkürlich erhobener Zoll, die Rechtsbeugung der feudalen Klassenjustiz, als Pfand einbehaltene und geschundene Pferde, ein halbtot geprügelter Knecht, schließlich seine Frau, die bei einem Bittgang zum Kurfürsten von dessen Wachen tödlich verletzt wird. Kein Wunder, dass der arme Mann durchdreht und die Sache, im Kern nicht weniger als die gerechte Einrichtung der Welt, selbst in die Hand nimmt! Ein Mann sieht rot, der deutsche Michel fühlt sich als "Statthalter" des Erzengels Michael. Popkulturell gesprochen: In ihm wohnt ein Charles Bronson mit Bereitschaft zum Bürgerkrieg.

Videos des Sturms auf das Kapitol ziehen Parallelen zu Querdenkern und Wutbürgern

Bei Kohlhaas' Rachefeldzug spritzt das Hirn seiner Feinde munter gegen die Wände, wenn sie nicht einfach samt Frau und Kindern aus dem Fenster in den Tod gestürzt werden. Weil der Deutsche sich auf Gründlichkeit versteht, bleibt es nicht bei einzelnen Morden, der Warlord Kohlhaas fackelt mit seiner Horde ganze Städte ab. Mit eingeblendeten Videos etwa des Sturms auf das Kapitol parallelisiert die Inszenierung das recht eindeutig mit den Selbstermächtigungsgesten heutiger Wutbürger, samt dem dazugehörigen Eskalationspotential. Es ist eine arg kurzatmige Aktualisierung, schon weil Kohlhaas einfordert, wogegen die Wutbürger aufbegehren - so etwas wie einen halbwegs funktionierenden Rechtsstaat.

Unfreiwillig komisch ist der Soundtrack, mit dem McBurney und Arden diese dramatisierte Erzählung untermalen: Pferdegetrappel und Wiehern, Waffenklirren, Feuerbrünste und Maschinengewehrsalven aus dem Off beweisen Effektfreude beim Kopfkino und kindliches Vergnügen an den akustischen Illusionstricks des Hörspielstudios. Zur Pathosverstärkung zeigen Großaufnahmen der abgemagerten Pferde oder des geschundenen Körpers des verprügelten Knechts die leidende Kreatur. Aus der Rache des Justizopfers wird ein Passionsweg - kein Wunder, dass Renato Schuch seinen Kohlhaas zu einer fiebernden Erlöserfigur überhöht. Mit langem Haupthaar und Vollbart sieht er aus, als käme er direkt von den Passionsspielen in Oberammergau. Damit auch religiös eher desinteressierten Gemütern die sakrale Dimension des Leidenswegs nicht entgeht, sorgt wuchtige Passionsmusik für den deutlichen Fingerzeig gen Himmel. Was die unfreiwillige Komik nicht unbedingt kleiner macht.

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