Sam Shepard:Aus der Sicht des Cowboys

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Er mischte das Kino und den Broadway mit seiner genialen Knurrigkeit auf: Der amerikanische Dramatiker, Drehbuchautor, Musiker und Schauspieler Sam Shepard ist gestorben.

Nachruf von David Steinitz

Es gab in Hollywood schon immer ziemlich viele Menschen, die sich für echte Cowboys hielten, aber nur sehr wenige, die es wirklich waren. Erkennen kann man die echten Hollywood-Cowboys daran, dass sie ihr Handwerk nicht auf einer dieser verweichlichten und überteuerten Schauspielschulen an der Ostküste gelernt haben, sondern in den letzten Resten des Wilden Westens. Sam Shepard hatte, bevor er auch nur ein einziges Stück oder Drehbuch geschrieben, geschweige denn selbst vor der Kamera gestanden hatte, Rodeos geritten und in der Sommerhitze auf den Feldern der elterlichen Farm in Kalifornien geschuftet.

Deshalb nahm er die Sache mit dem Stallgeruch sein Leben lang sehr ernst. Auch als die eitle Hollywood-Clique ihn unbedingt aufnehmen wollte, zum Beispiel mit der Oscar-Nominierung für seine Rolle im Abenteuerfilm "Der Stoff, aus dem die Helden sind", 1983, hielt er lieber Abstand. "Die Filmleute", sagte Shepard gern, "reden immer von der tollen Zusammenarbeit, dem Teamwork. Aber in Wahrheit wollen sie doch nur, dass man ihnen möglichst oft den Hintern küsst."

Der Cowboy Sam Shepard wurde 1943 in Illinois geboren, verbrachte die ersten Jahre seines Lebens aber auf Wanderschaft. Der Vater war beim Militär, die Familie zog von Base zu Base, bis sie sich schließlich in Kalifornien niederließ. Dort mochte der junge Sam das Farmleben sehr gern, sogar so gern, dass er nach der High School Landwirtschaft zu studieren begann. Aber dann kam dazwischen, was bei so vielen jungen Männern damals dazwischen kam: New York.

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Die wilden Jungs des Kinos wurden sofort auf ihn aufmerksam

Über ein paar kleinere Schauspieltruppen, die es ihm angetan hatten, landete er also doch an der Ostküste. Und was soll man sagen, plötzlich wusste der Cowboy aus Kalifornien, der eben noch auf dem Feld gestanden hatte, gar nicht, welche Kunstform es zuerst sein sollte. Das Leben in der Stadt vibrierte zu Beginn der Sechzigerjahre, die Miete war auch für Kleinverdiener von außerhalb noch gerade so erschwinglich, und Shepard verdingte sich als Schlagzeuger in der Band The Holy Modal Rounders, er verfolgte die ganze Sache mit der Flower Power mit großem Staunen. Auch ein recht skurriles Kerlchen namens Bob Dylan lernte er damals kennen, mit dem er viele Jahre später gemeinsam einen Song schrieb, "Brownsville Girl".

Die Musik aber wurde mehr ein Hobby, weil Shepard, der Cowboy, mit seinen Geschichten über Einsamkeit und Familienfehden und das Farmleben als Stückeautor einen Nerv traf. Das waren natürlich vor allem Storys für den Off-Broadway, weil der richtige Broadway viel zu verglitzert für seine raue Romantik war. Die wilden Jungs des Kinos wurden sofort auf ihn aufmerksam. Vor allem die Europäer sahen in ihm einen Verbündeten. Für Michelangelo Antonioni schrieb er Ende der Sechziger das Drehbuch zu "Zabriskie Point" so lange um, bis es saß.

Er arbeitete parallel fürs Theater und fürs Kino, in beiden Bereichen war er seit Ende der Siebzigerjahre der Dramaturgen-Superstar. Für sein Stück "Vergrabenes Kind" bekam er 1979 den Pulitzer-Preis. Eine heftige Familienfehde erzählt er darin, es ist ein richtiger Thriller mit Leichen im Keller, und letztlich vor allem eine brutale Dekonstruktion der heilen Welt des amerikanischen Traums, den er ohnehin eher für einen Albtraum hielt.

Er sah einfach viel zu gut aus, um nur hinter der Kamera zu stehen

Gerade deshalb war er der ideale Partner für Wim Wenders, dem er Anfang der Achtzigerjahre die Vorlage zu "Paris, Texas" schrieb. Wenders, der Autorenfilmer aus Deutschland, der von der Weite und den Versprechen der amerikanischen Wüstenlandschaft magisch angezogen wurde; und Shepard, der genau wusste, dass diese Frontier-Erotik auch eine Kehrseite hat. Gemeinsam ließen sie ihre Hauptfigur Travis durchs staubige Texas irren. Shepard sagte hinterher bescheiden, es sei doch vor allem das Gesicht des Hauptdarstellers Harry Dean Stanton gewesen, das diesen Film trage. Weil es genauso zerfurcht ausgesehen habe wie die karge Landschaft, durch die dieser Mann sich kämpft.

Es war nun allerdings so, dass Sam Shepard später ein herrlich zerfurchtes Gesicht besaß, ein großer, kräftiger Mann war und einen breitbeinigen Gang draufhatte, den man nicht lernen kann, sondern tief in sich drin im Cowboy-Herzen tragen muss. Sprich: Er sah einfach viel zu gut aus, um nur hinter der Kamera zu stehen. Folglich wurde also ausgerechnet er, der mit dem ganzen Glamour-Quatsch nichts zu tun haben wollte, auch noch als Schauspieler erfolgreich. Zuletzt war er ständig als knurriger Kerl zu sehen, weil keiner so knurrig schauen konnte wie er. In der Netflix-Serie "Bloodline" zum Beispiel.

Seine wohl größte Rolle aber spielte er auch für einen Deutschen, 1991, in Volker Schlöndorffs Frisch-Adaption "Homo Faber". Denn Schlöndorff wusste, dass er die ganze Knurrigkeit dieses Cowboys als Fallhöhe brauchte, um sie einen Film lang zu demontieren. Wie Shepard als Walter Faber die Gesichtszüge entgleisen, wenn er das erste Mal der jungen Julie Delpy begegnet, wie er versucht, die Überwältigung zu kaschieren, wenn sie sich langsam durch die Haare fährt, und wie das ganze Faltengesicht dadurch in Unordnung gerät, das ist so eine der Szenen, weswegen man ja überhaupt ins Kino geht.

Wie nun bekannt wurde, ist Shepard bereits vorigen Donnerstag im Alter von 73 Jahren an den Folgen der Nervenkrankheit ALS gestorben.

© SZ vom 01.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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