Salzburger Festspiele eröffnet:Jedermanns Theater

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Harsche Kritik am Regietheater: Festredner Daniel Kehlmann greift zum Auftakt der Salzburger Festspiele den Interpretationsstil des deutschen Theaters an.

Mit einer harschen Kritik am Regietheater sind an diesem Samstag die 89. Salzburger Festspiele in Österreich eröffnet worden. Der 34-jährige Schriftsteller Daniel Kehlmann ("Die Vermessung der Welt") setzte sich in einer sehr persönlichen Festrede mit seinem Vater, dem Regisseur Michael Kehlmann, auseinander und kritisierte scharf den Modernisierungszwang des heutigen Theaters.

Proben für die Premiere am Sonntag: Anne Tismer und Stephanie Schönfeld als die Titelfigur von Friedrich Hebbels "Judith". (Foto: Foto: dpa)

Bereits vor Beginn der Festspiele ist über deren verbliebene künstlerische Relevanz und die Qualität der Aufführungen diskutiert worden. Mehrere Theatermacher kritisierten das Festival als veraltet und forderten einen Generationswechsel.

Bei den Festspielen sei alles immer noch so wie vor 20 Jahren, sagte beispielsweise der ehemalige Salzburg-Intendant und Operndirektor Gérard Mortier in einem Interview. Es fehlten die besten Regisseure und Dirigenten.

Kehlmann würdigte in seiner kritischen Rede seinen Vater als großen Theatermacher, der aber in den letzten Jahrzehnten aus der Mode gekommen sei und deshalb seinen Beruf nicht mehr ausüben durfte.

Spaghettiessen und Videowände

Grund sei dessen Einstellung gewesen, dass der Regisseur ein Diener des Autors sei. "Als mein Vater durch den Wandel der Umstände seine Arbeit nicht mehr ausüben konnte, senkte sich allmählich die Krankheit des Vergessens auf ihn herab, bis ihn ganz zuletzt die Demenz vom Bewusstsein der Enttäuschung befreite."

Heute seien Ausländer, die in Deutschland ins Theater gingen, ziemlich verwirrt. "Was das denn sollle, fragen sie, was denn hier los sei, warum das denn auf den Bühnen alles immer so ähnlich aussehe, ständig Videowände und Spaghettiessen, warum sei immer irgendwer mit irgendwas beschmiert, wozu all das Gezucke und routiniert hysterische Geschrei? Ob das denn staatlich vorgeschrieben sei?"

Ob man Schiller in historischen Kostümen oder aktualisiert aufführen solle, sei die am stärksten mit Ideologie befrachtete Frage überhaupt. "Eher ist es möglich, unwidersprochen den reinsten Wahnwitz zu behaupten, als leise und schüchtern auszusprechen, dass die historisch akkurate Inszenierung eines Theaterstücks einfach nur eine ästhetische Entscheidung ist, nicht besser und nicht schlechter als die Verfremdung, auf keinen Fall aber ein per se reaktionäres Unterfangen."

Für Kehlmann ist das Regietheater längst im bürgerlichen Leben angekommen, das er zu Beginn seiner Rede mit dem Max-Reinhardt-Zitat "eng begrenzt und arm an Gefühlsinhalten" beschrieb.

"In einer Welt, in der niemand mehr Marx liest und kontroverse Diskussionen sich eigentlich nur noch um Sport drehen, ist das Regietheater zur letzten verbliebenen Schrumpfform linker Ideologie degeneriert", sagte er.

Wer gegen das sogenannte Regietheater sei, müsse nicht konservativ sein, aber gerade manch tiefkonservativer Mensch halte die teuren und konventionellen Spektakel des Regietheaters für unangreifbar. Neben der Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler hielt auch der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer eine Rede.

Im Publikum saß Portugals Präsident Anibal Antonio Cavaco Silva, der gerade auf Staatsbesuch in Österreich ist. Das Kulturfestival steht in diesem Jahr unter dem Motto "Das Spiel der Mächtigen". Künstlerischer Auftakt des Kulturfestivals ist am Abend die Neuinszenierung des Händel-Oratoriums "Theodora" im Großen Festspielhaus unter der Regie von Christof Loy. Die musikalische Leitung hat Ivor Bolton.

Bis zum 30. August sind rund 190 Veranstaltungen geplant. Der Schauspielreigen beginnt am Sonntag mit dem traditionellen "Jedermann" auf dem Domplatz.

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