Salon:Addio und Goldmund

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Aus dem Geistesleben: Bazon Brock und seine "Denkerei" nehmen Abschied vom Oranienplatz in Berlin und hoffen auf Wiederauferstehung noch vor Ostern .

Von Willi Winkler

Wenn Berlin überhaupt den Anspruch erheben kann, eine Kulturmetropole zu sein, dann ist der vor bald 250 Jahren begründet worden, als sich die außeruniversitäre Intelligenz zum ersten Mal in Salons um vorwiegend weibliche Gastgeber scharte. Da konnte, unbehelligt von Krone und Altar, die Aufklärung diskutiert und verbreitet werden, die Immanuel Kant von Königsberg aus verkündet hatte, da ging es um Religionsfreiheit und nicht zuletzt um die jüdische Emanzipation. Es ging natürlich auch darum, sich gegenseitig die illustersten Gäste abzujagen. Die berühmte Salonière Henriette Herz, bei der Karl Philipp Moritz, Friedrich Nicolai und die Humboldt-Brüder verkehrten, brillierte auch als Natter, wenn sie die Vorzüge der konkurrierenden Esther Gad pries und gleichzeitig darüber lästerte: "Da sie mit einer großen Fülle des Busens gesegnet war, so wurde in Berlin scherzweise von ihr gesagt: sie lege die Gelehrten an ihre Brüste."

Als weitere Alma Mater, also nährende Mutter, hat sich im längst abgeklärten Berlin 2011 die "Denkerei" etabliert, die jetzt - dit iss Balin! - als Opfer des Immobilienbooms in der Hauptstadt weichen muss. An diesem Dienstag schließt nicht nur die "Denkerei", es wird in Berlin auch die intellektuelle "Arbeit an unlösbaren Problemen" eingestellt, die der fleißig nährende Gründervater Bazon Brock den größten Gelehrten ebenso wie der türkisch-schwäbischen Laufkundschaft in Kreuzberg versprochen hatte.

Nachdem am Nachmittag draußen am Alexanderplatz Zehntausende gegen unerschwingliche Mieten demonstriert hatten und es angestellten Verfassungspatrioten beim Gedanken an Art. 14 (3) Grundgesetz inzwischen ziemlich kalt den Rücken runterläuft, setzte Bazon Brock am vergangenen Samstag am heiß umkämpften Oranienplatz in Kreuzberg in aller Seelenruhe seine "Addiologie" oder Abschiedskunde mit dem Historiker Karl Schlögel fort.

Dessen Frau Sonja Margolina trug erst Gedichte von Wladimir Majakowski und Anna Achmatowa im Original vor, dann benannte Schlögel die Kontingenz als "Gott meiner Geschichtsschreibung". Neues finde nur, wer wie er auf dem Boden krieche. Vor Kurzem hat er dafür, was der Gastgeber nicht zu erwähnen vergaß, den Pour le mérite erhalten, was Brock aber auf einen viel älteren, französischen Orden verweisen ließ, den er sich als Abbild aus dem Antiquitätenhandel beschafft hatte.

Schlögel weigerte sich, nur das ihm vorgegebene Thema "Mit Stalin ins Bauhaus" zu behandeln und sprach dann über den Konstruktivismus in Charkiw, der alten ukrainischen Hauptstadt, wo er sich an den amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright erinnert fühlte. Am liebsten würde Schlögel einen Easyjet mit einem guten Hundert deutscher Architekten bemannen und sie hinfliegen, damit sie sich im Bauhausjubiläumsjahr das Derschprom dort ansähen. Brock versprach sogleich Hilfe: "Hubert Burda bezahlt das." Dem prospektiven Mäzen dürfte diese für die Architektenfortbildung so erfreuliche Nachricht dennoch neu sein.

Bazon Brock selber sprach zur "Geschichte des Unterlassens" und pries die Österreicher, die sich erst ein funktionsfähiges Atomkraftwerk gebaut und dann beschlossen hatten, es nicht in Betrieb zu nehmen. Zwentendorf sei die Zukunft. Obwohl selber ein Goldmund, wie die Welt seit Chrysosthomos keinen mehr sah, hat Brock in seinem Salon siebeneinhalb Jahre alles willkommen geheißen, was ein Scherflein zu seiner poetischen Universalphilosophie beizutragen hatte. Die Denkerei sei daher, so Schlögel, einer der "wenigen Orte, an denen ungeschützt gesprochen werden" könne, und genau damit soll es jetzt vorbei sein.

"Denken ist angewandter Heroismus", verkündete der Wortprägemeister Brock und wollte die Abschiedskunde dann doch nicht übertrieben haben. Brock wäre nicht Bazon, hätte er nicht längst zusammen mit seiner unermüdlichen Assistentin Marina Sawall ein Notfallprogramm entworfen. Die aus dem spekulantenfreundlichen Berlin vertriebene "Denkerei" soll in den nächsten Jahren durch die Lande perambulieren, mal beim Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, mal bei der Katholischen Akademie gastieren.

Junge Start-up-Menschen haben dem 82-Jährigen ihre Großraumbüros als Schauplatz angeboten, Hamburg und Linz kommen als nächste Denkorte dran. Davor geht es in der Karwoche in die St.-Matthäus-Kirche; für den Alleszusammendenker Brock ist es schließlich nur ein kleiner Schritt von der Kreuzberger Theosophie zur Karfreitagstheologie. Das Ende der Denkerei wird, ein weiteres Brock-Projekt, ein einziger langer "Lustmarsch durchs Theoriegelände". Berlin aber hat seinen einzigen nahrhaften Salon verloren.

© SZ vom 09.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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