Sängerin:Im Chor mit sich selbst

Lesezeit: 3 min

Wie die Würzburgerin Elisabeth Brüchner alias Lilly Among Clouds auch ohne Eurovision Songcontest weitermacht

Von Michael Zirnstein, Würzburg

Ihr "Surprise" war wirklich eine Überraschung. Für die meisten Zuseher des Vorentscheids zum Eurovision Songcontest im Februar sowieso, weil dieses aparte Stück vorab nirgends zu hören gewesen war. Und die Musikerin Elisabeth Brüchner alias Lilly Among Clouds aus Würzburg war ihnen wohl bis dato ebenso unbekannt. Aber was für eine Entdeckung war diese Frau im bodenlangen, bauchfreien roten Gewand, wie sie da so ganz allein auf der Fernsehshowbühne mit ihren Fingern ein Phantom-Marionettenspiel aufzuführen schien. Das Drama ihrer Stimme illustrierte es peferkt. Die geschmackssichere Buchautorin und Trash-TV-Journalistin Anja Rützel (die übrigens im Jahr davor auch den bayerischen Kandidaten Xaver Darcy gelobt hatte) fasste ihre positive Überraschung so zusammen: Lilly Among Clouds sei "mit ihrem bjorkigen Song und leicht schrulliger Fuchtel-Performance vielleicht die einzig wirklich interessante, weil so tatsächlich noch nicht gehörte Kandidatin". Und was passiert in Deutschland mit so tapferen Künstlerinnen abseits des Erwartbaren? Richtig, sie verlieren.

Aber damit ist Lilly Among Clouds schon wieder eine Gewinnerin. Sie hatte mit sich gehadert, dort anzutreten, scheu wie sie zu der Zeit war - und dürfe man seine Haut überhaupt so zu Markte tragen als anspruchsvolle Künstlerin? Aber "Mitmusiker aus dem Indie-Umfeld" hatten ihr grünes Licht gegeben fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen. Und so waren dann sogar ihre Fans überrascht, die ihr seit zwei, drei Jahren folgen. Denn "Surprise" ging in seiner aparten Modernität weit über die bisherige Piano-Liedermacherinnen-Art von Lilly Among Clouds hinaus. Und letztlich war auch Lilly angenehm verblüfft, wie viel sie in der doch recht wichtigen Gala - von der Song-Auswahl bis zum Kostüm - hatte selbst bestimmen dürfen. Und darüber, dass ihr die große Showbühne "unglaublich viel Spaß" gebracht hatte.

Ihre Schüchternheit legt Elisabeth Brüchner alias Lilly Among Clouds nach und nach ab. Die junge Musikerin aus Würzburg hat noch viel vor. (Foto: Lucio Vignolo)

Lange hatte sie sich eher in der Rolle als Songwriterin gesehen, sich auf der Bühne hinter ihrem Stage-Piano versteckt. Als sich die einstige Politik-Studentin allerdings bei ihrem Debütalbum "Aerial Perspektive" entschied, alles auf die Kunst zu setzen, trat sie auch vermehrt auf großen Festivals auf. Dafür habe sie sich eher flottere, lautere Stücke ausgesucht, und wenn sie dann ohne Instrument dastand, dachte sie: "O, was mache ich denn jetzt?" Da fing sie tatsächlich an zu tanzen, wurde immer mutiger, erklomm gar die Bassbox an der Rampe. Als sie sich dann an ihr zweites Album machte, forderte sie von sich selbst: "Ich möchte noch mehr solche Lieder haben."

Bei ihrer ersten, hinreißenden Platte hatte sie großen Respekt vor der Kunst, bei "Green Flash" nun hat sie großen Spaß. Sie habe den Kitsch hinter sich gelassen, sagte sie selbstkritisch und gut gelaunt in einem BR-Fernsehinterview. Jetzt tobt sie sich aus, bei der "Schnulzbalade", wie sie es nennt, "Wasting My Time" habe sie einfach die Beats per Minute verdoppelt, das ganze mit dem E-Bass komponiert. Jetzt ist ein Groove-Song daraus geworden, der beinahe an die frühen Depeche Mode erinnert. Auch bei "Closer" brazzt es nach ein paar Piano-Akkorden mächtig. Bei "Underneath The Surface" nimmt sie sich wieder zurück, spielt Klavier und singt im Chor mit sich selbst, was an die verschatteten Tiefen einer Lana del Rey heranreicht. In ihrem Trennungsstück "No Girl" macht sie dann völlig auf, schillert musikalisch wie auch im Video in einem Kaleidoskop. Das ist allerschönster Pop der modernen, internationalen Machart einer Florence And The Machine oder einer Marina And The Diamonds.

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Dann aber wird es düster bei "Look At The Earth", eine Liebeserklärung an die Natur, die den Virus Mensch aber satt hat, der leugnet, dass er die Krankheit ist. "Seid ihr bereit zu stolpern, seid ihr bereit zu stürzen", fragt Brüchner, die auf einem Bauernhof im Grünen aufgewachsen ist und immer noch einen Gemüsegarten hegt und pflegt, ihre Spezies drohend. Damit reiht sich die 30-Jährige bei den Klimaaktivisten von Fridays For Future ein. In Frankfurt ist sie für sie schon aufgetreten. Die Alten trauten den jungen Menschen offenbar keine tiefen Gedanken übers Leben zu, jetzt seien sie überrascht, was diese Generation zustande bringt. Auch darum gehe es in "Surprise", das sie fürs Album noch einmal mit dem Orchester der Münchner Filmfoniker aufgenommen hat. "Cause you haven't seen the best of me / You will be surprised", singt sie. Man darf sich überraschen lassen, wohin es noch mit ihr geht.

Lilly Among Clouds , Sa., 21. Dez., Ampere

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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