Sachbuch:Zur Hölle

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Die Kirche sieht den Teufel noch immer als Herrscher der Welt. Für Kurt Flasch ist er eher mit Frau Holle verwandt - der Philosophiehistoriker seziert seine wechselvolle Geschichte.

Von Rudolf Neumaier

Dieses Buch lässt sich problemlos unter jeden Christbaum legen, und als Weihnachtsgeschenk ist es weder blasphemisch noch geschmacklos oder sonst wie unterirdisch. Obwohl es vom Teufel handelt. Der hat in Kurt Flasch seinen Meister gefunden. Seinen Meister-Erzähler, ja Meister-Nekrologen. Der Philosophiehistoriker schraubt ihm die Hörner vom Schädel und kupiert ihm den Schweif. Und kann es in diesen düsteren Zeiten etwas Tröstlicheres geben als einen Abgesang auf die Personifikation alles Bösen?

Kurt Flasch, 85, hat vor zwei Jahren in "Warum ich kein Christ bin" aufgeschrieben, wie er ohne Verdruss über Kirchen und Klerus vom Glauben abfiel. Jetzt knüpft er sich Satan vor. Den Titel "Der Teufel und seine Engel" unterlegt er mit der Zeile "Die neue Biographie" - Flasch liebt die Ironie und er zelebriert die Zuspitzung. Damit würde er den Teufel zur Weißglut bringen, wenn denn der Teufel ein Mensch wäre.

Flasch setzt Stiche, deren Perfidie bei Teufelsgläubigen nur Empörung auslösen kann. Er vergleicht den Teufel mit Frau Holle! Flasch darf das: Sein Buch versteht sich nicht als Enzyklopädie, es ist ein Essay, der sich nährt aus langer Arbeit mit den heterogensten Quellen. Es wird ein weiter Bogen geschlagen von der Genesis über Augustinus und Thomas von Aquin zu Goethe und Jean Paul - um nur vier von knapp 400 Namen aus dem Register zu nennen. Wer diesen Autor in die Hand nimmt, der weiß, dass er sich auf Pointen freuen kann, die dann auch für Pirouetten wie die etwas lang geratene Einleitung entschädigen.

Seit Goethe ist der Teufel eine Kunstfigur: Emil Jannings als Mephisto in Murnaus "Faust"-Verfilmung (mit Yvette Guilbert als Marthe). (Foto: Scherl/SZ Photo)

Schon in der Bibel ist diese Figur sehr diffus - am Anfang gab es sie noch gar nicht

Auf Augustinus bezieht sich Flasch am häufigsten. Das leuchtet nicht zuletzt insofern ein, als auch der Katechismus, das Glaubensdefinitionsbuch der katholischen Kirche, auf den Kirchenlehrer rekurriert, wo es um den Sündenfall geht. Die Kirche beharrt immer noch darauf, dass der Teufel sein Unwesen treibe: "Satan ist auf der Welt aus Hass gegen Gott und gegen dessen in Jesus Christus grundgelegtes Reich tätig. Sein Tun bringt schlimme geistige und mittelbar selbst physische Schäden über jeden Menschen und jede Gesellschaft", heißt es im Katechismus. Die Dogmatik hingegen tut sich schwer mit Satan. Ebenso verquast wie knapp, nämlich nur eine halbe von insgesamt 900 Seiten lang, ist die Teufelsbeschreibung in jenem Standardwerk Gerhard Ludwig Müllers, mit dem Theologiestudenten die "Katholische Dogmatik" lernen: Satan sei "keine in sich böse Substanz, sondern ein personales Geschöpf, das in Perversion seiner Willenstranszendenz sich von seinem erfüllenden Ziel, der Liebe Gottes, abgewandt hat". Gleichzeitig sei er als "Herrscher dieser Welt" ausgestattet mit der Gewalt über Sünde und Tod.

Ernsthafte Theologen sparen das Thema Teufel lieber aus. Angesichts der krassen Inkohärenz der Satansgeschichte, die Kurt Flasch genüsslich seziert, wäre es eine undankbare Aufgabe, für die Existenz des Teufels eintreten und sie aus der Bibel herleiten zu müssen. Denn schon in der Bibel ist diese Figur sehr diffus. Die früheste Schöpfungsgeschichte der Hebräischen Bibel kennt ihn nicht einmal. Bei Adam und Eva im Paradies gibt es keinen Teufel, sondern eine Schlange als "das klügste von allen Tieren", wie es in der Bibel heißt. Dass die Schlange teuflisch sei, insinuieren erst Bibelpassagen, die einige Jahrhunderte später entstanden. Satans Motiv ist hier noch Neid auf die Menschen.

Im Neuen Testament wandelt er sich plötzlich zum Widersacher des Gottessohnes. Die neue, von dem Mann aus Nazareth gestiftete Religion breitet sich aus. Jesus hat den Tod besiegt und den Teufel, doch der Anti-Christ kommt trotzdem immer besser ins Geschäft. Im Neuen Testament kommt eine geschickte Dramaturgie zur Anwendung: Die gute Nachricht lässt sich besser verkaufen, wenn ein Schurke mitspielt. Der Teufel beherrscht die Welt.

Und das, obwohl Gott der Allmächtige ist? Kurt Flasch kleidet seine Teufelsskepsis oft in Fragen, bei denen gottesfürchtige und teufelfürchtende Geister in der Sackgasse der Aporie steckenbleiben. Daran hat er ebenso seine Freude wie am Aufspießen kläglicher Erklärungsversuche - etwa Calvins Theorie, wonach der Teufel Gott für seine Frevelaktionen um Erlaubnis bitten müsse. "Und scheinbar erhielt er sie meistens" - eine typische Flasch-Spitze.

Die Asketenmönche des frühen Christentums brauchen einen Antipoden, der sie versucht, dem sie widerstehen können. Je schwieriger die Probe, auf den der Teufel ihn stellt, desto heiliger wird der Mönch. Die Lehre des Augustinus mit ihren bizarren Vorstellungen über Sexualität setzt sich durch: Jedem Neugeborenen werde die Erbsünde durch Geschlechtsverkehr vermittelt. Beim Sexualakt seien Dämonen im Spiel. Flasch findet in Augustinus' Schriften den Keim für die Teufelsangst, die sich im Christentum entwickelte. Mit dieser Angst verbunden ist die Leibfeindlichkeit, die Verteufelung des Sexuellen, die den katholischen Kosmos heute noch stark prägt. Der nächste große Teufelsbeschwörer, der diese Fantasien weiterspann, war Thomas von Aquin. In seinem theologischen Rigorismus sieht Kurt Flasch das ideologische Fundament für die spätere Hexenverfolgung.

Kurt Flasch: Der Teufel und seine Engel. Die neue Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2015. 462 Seiten, 26,95 Euro, E-Book 21,99 Euro. (Foto: C.H. Beck)

Mit der Lehre Thomas von Aquins bekamen der Teufel und seine Dämonen im 13. Jahrhundert eine neue Gestalt. Nun wurden sie nicht mehr als Luftkörper interpretiert, die beim Piesacken ihrer menschlichen Zielobjekte auch mal plump vorgingen und selbst sexgierig waren - weswegen Paulus im ersten Korintherbrief angeordnet hatte, dass Frauen ein Kopftuch tragen müssen. Seit Thomas war der Teufel nur noch Geist: eine unmaterielle substantia separata, die allein aus nüchternem Verstand und dem kalten Willen bestand, den Menschen Schaden zuzufügen. Wie Flasch nachweist, ließ sich die neue Teufelsvorstellung kirchenpolitisch bestens anwenden, um den Zölibat durchzusetzen.

Kurt Flasch sagt: Der Teufel ist tot. Seit Goethe ihn im "Faust" in eine Theaterfigur verwandelte, existiere er nur noch in der Kunstwelt. Eine Antwort auf die Frage, woran sich im wahren Leben teuflisches von menschlichem Wirken unterscheiden lasse, habe er nie erhalten, sagt Flasch und führt Adolf Hitler als Beispiel an: Hitler war kein Teufel, sondern ein Mensch, und sein Handeln war das eines Menschen.

Dass ihm seine Lebenszeit zu kostbar sei, sich mit einem Wesen zu befassen, das "seiner Natur nach immer völlig unbekannt bleiben muss", liest sich angesichts des stattlichen Buchumfanges wie ein Scherz. Aber jetzt ist der Teufel für Flasch endgültig gestorben.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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