Rundgang:Per Tube zur Muschelwand

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Das Erlebnis Elbphilharmonie beginnt mit der längsten Rolltreppe Europas. Wichtigstes Element im Konzertsaal sind die Wandpaneele.

Von Peter Burghardt

Ein kalter Morgen im Hamburger Herbst, der große Moment. Erstmals darf ein Aufgebot der Weltpresse gruppenweise das nun berühmteste Bauwerk der Stadt besichtigen, nachher folgt die feierliche Präsentation. Bereits am Montag jener Woche hatte der Baukonzern Hochtief das glückliche Ende dieser sehr langen, teuren und zwischendurch einigermaßen komplizierten Geschichte verkündet: Die Lichter hinter der Fassade wurden dergestalt angeschaltet, dass die leuchtenden der mehr als 1000 Fenster das ersehnte Wort FERTIG ergaben, fristgerecht zur geplanten Übergabe am 31. Oktober. Jetzt werden die Fertigstellung und die Eröffnung der Plaza mit einem Festakt begangen, viele Reporter kommen von weither.

Selbst Besucher aus Sydney oder Boston dürfen ein bisschen staunen

Schon die ersten Schritte in diese vormalige Riesenbaustelle sind ein erhabenes Gefühl, es geht immerhin in ein Monument von Weltrang. Selbst wer aus Sydney angereist sein sollte oder aus Boston, darf ein bisschen staunen. Der erste Erkundungsweg unter Leitung von Pressesprecher Tom R. Schulz führt geradeaus, vorbei am Parkhaus zu den Kaistudios, dann besteigt man eine erste Attraktion dieses Gesamtkunstwerks. Es ist die gewölbte Rolltreppe, genannt "Tube", wie die Londoner U-Bahn. Sie fährt langsamer als die Aufzüge, aber die gut 80 Meter und 2,5 Minuten lange Fahrt durch die Röhre mit Tausenden weiß und gläsern funkelnden Pailletten hat etwas Kontemplatives, die späteren Hörerlebnissen sicher als passende Einführung dienen wird.

Wesentliches Element im Großen Saal sind die unregelmäßig strukturierten Wandpaneele, die für einen idealen Klang sorgen sollen. (Foto: Sean Gallup/Getty)

Diese längste Rolltreppe Europas bringt einen zu den Panoramafenstern mit ihrer schon mal sehr hübschen Aussicht auf Elbe und Landungsbrücken in den 6. Stock. Eine kürzere Fortsetzung transportiert in den 8. Stock, einen Höhepunkt. Es ist sozusagen die Mittelstation auf dem alten Kaispeicher und unter dem neuen Aufbau, die zentrale Plattform. Die Plaza. 37 Meter über dem Boden und noch ein wenig weiter über dem Fluss. Von hier aus führen die Zugänge unter geschwungenen Bögen, Decken und Fensterfronten zu den Konzertsälen, zum Hotel, zum Shop, zum Café. 44 dezent abgetrennte Apartments gibt es da oben auch, das Penthouse im 26. Stock misst 340 Quadratmeter und kostet dem Vernehmen nach etwa 11,9 Millionen Euro, aber das nur nebenbei. Draußen auf der öffentlichen Terrasse kann die Elbphilharmonie von jedermann umrundet werden, seit dem 5. November ist die Plaza auch für Besucher begehbar. Etwas zugig kann es dort werden, zumal beim nicht immer tropischen Wetter der Hansestadt. Das kennt man bereits vom bisher beliebtesten Aussichtspunkt, dem noch deutlich höheren Turm der Hauptkirche St. Michaelis weiter hinten. Dafür ist der Blick auch von dieser Plaza und durch die gebogenen Fenster hinab auf den Hafen und die Innenstadt umso schöner. Unten liegen das Wasser, die Schiffe, die Kräne, das Meer der Häuser. Der ehrwürdige Michel muss einem dabei fast ein wenig leid tun, er hat als Wahrzeichen ja sehr ernst zu nehmende Konkurrenz bekommen.

Ungefähr in der Mitte der Plaza kann man durch einen Lichtschacht bis in die Foyers der Obergeschosse 12 bis 17 hinaufschauen. Über eine helle Holztreppe geht es in den Kleinen Saal für 550 Zuschauer, er wird für Solisten genutzt werden, für Kammermusik, Jazz oder Weltmusik, mit flexibler Bestuhlung. An diesem Vormittag wirkt er wie ein schummriges Experimentierfeld - der Akustiker Yasuhisa Toyota hat ein paar Nachbesserungen angemahnt, so sollen die Eichenpaneele noch leicht verschoben werden. Dann weitere Treppen hinauf: der Große Saal. Das Herz der Elbphilharmonie und vielleicht sogar bald der Musik in Deutschland. 2100 ausgesprochen bequeme Sitzplätze mit Armlehne, angelegt nach dem Prinzip eines Weinbergs. Die Bühne steht in der Mitte, von jedem Stuhl maximal 30 Meter entfernt.

Haus mit Klangreflektor im Kern: Ein Querschnitt der Elbphilharmonie, Blickrichtung Süden. Foto: Herzog & de Meuron/bloomimages, Bearbeitung: SZ (Foto: SZ)

Der eine oder andere Berichterstatter setzt sich rasch ans Klavier und spielt eine kleine Melodie, ehe er freundlich vertrieben wird. Man stellt sich kurz vor, mit welcher Magie ein Kent Nagano mit seinen Musikern diesen Raum füllen wird oder ein Organist an der von Philipp Klais gebauten Orgel mit ihren zwei Spieltischen, sechs Registern und 4765 Pfeifen aus Zinn und Holz, die man sogar anfassen darf.

An dieser Stelle ist die Innenverkleidung des Großen Saals zu würdigen. Die "weiße Haut". Man berührt sie so ehrfürchtig wie Gold. Etwa 10 000 Gipsfaserplatten mit Rillen und Löchern bedecken die Wände und Decken, sie reflektieren die Töne gemeinsam mit dem gigantischen Klangreflektor, der über der Bühne zu schweben scheint. Jedes dieser Elemente wurde nach Berechnungen von Yasuhisa Toyota und Benjamin Samuel Koren von der bayerischen Firma Peuckert aus Mehring gefräst und montiert. Die millimetergenau eingepassten Paneele sind unterschiedlich schwer, die Elemente wiegen 150 Kilogramm pro Quadratmeter. Jedes Stück ist anders, zwei Jahre hat die Montage gedauert. Weiß ist dieses Puzzle zwar eigentlich nicht, hellgrau kommt der Farbe näher. Auch bat der Architekt Jacques Herzog, nie mehr von weißer Haut zu sprechen, weil die Platten eher wie Krustentiere aussehen würden, "wie Muscheln", aber irgendwie ist dieser Name trotzdem geblieben.

Egal, die Haut, oder die Muscheln, helfen offenbar ganz entscheidend dabei, die Zuhörer mit dem zu verbinden, was die Künstler mit ihren Instrumenten und Stimmen zum Klingen bringen. "Wenn man es als Akustiker schafft, dass das Publikum die große Distanz zur Musik nicht mehr wahrnimmt, hat man gute Arbeit geleistet", der Satz stammt von Herrn Toyota. "Eine der gewaltigsten baulichen Herausforderungen ist zu ihrem geplanten Ende gekommen, und das Leben eines wundervollen Gebäudes beginnt", sagt Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes, als er mit Bürgermeister Olaf Scholz, dem Intendanten Christoph Lieben-Seutter und den Architekten Jacques Herzog, Pierre de Meuron und Ascan Mergenthaler im Großen Saal sitzt. "Die Fehler, die am Anfang gemacht wurden, haben wir teuer bezahlt", räumt Scholz ein. "Aber nun sind wir an den Gestaden der einstigen Sehnsucht angekommen." Jeder Platz sei so, als säße man in der ersten Reihe. "Auch akustisch" sei die Demokratie in den Konzertsaal eingezogen. Chefdirigent Thomas Hengelbrock ist begeistert, als er mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester das erste Mal in der neuen Heimat probt: "Bravo, Herr Toyota!" Am Abend des 11. Januar 2017 geht es los.

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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