Roman:Pastaessen als Leistungsschau

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Von der Hoffnung auf den perfekten Partner in Zeiten der Selbstoptimierung: Georg M. Oswalds "Vorleben".

Von Christian Mayer

In jeder neuen Liebesbeziehung gibt es eine Unwägbarkeit, eine Art Realitätscheck. Das ist der Antrittsbesuch bei der Familie des angehenden Partners. Es kann entlarvend sein, die Eltern eines Menschen kennenzulernen, der einem gerade noch so begehrenswert erschien, aber auf einmal komplett aus der Rolle fällt und auf sein früheres Ich zurückgeworfen wird. In solchen Situationen hilft nur noch Humor - oder man ist Schauspieler.

Die Peinlichkeit einer solchen Prüfung beschreibt Georg M. Oswald in seinem Roman "Vorleben". Daniel, ein erfolgreicher Musiker, stellt Sophia zu Hause vor. "Du wirst mit Erstaunen beobachten können, wie ich mich in Gegenwart meiner Eltern binnen Minuten von einem weltbekannten Cellisten in einen blässlichen Musterschüler zurückverwandle", kündigt Daniel an. Genau das geschieht, die Demütigungen sind in harmlose Sätze verpackt: "Es war nicht immer leicht mit Daniel", sagt der Vater. Und die Mutter: "Du sprichst über ihn, als wäre er noch ein Kind." Der stolze Besitzer einer Dachgeschosswohnung im Münchner Glockenbachviertel steht da wie ein Hochstapler, als herauskommt, dass die Eltern die Immobilie für ihn gekauft haben. Und Sophia, die Neue, fühlt sich wie eine "Abweichung", als sie konsequent als "Nicole" angesprochen wird.

Dieses Buch handelt auch von der Hoffnung auf den perfekten Partner in Zeiten der Selbstoptimierung. Georg M. Oswald, Münchner Rechtsanwalt und Schriftsteller, erzählt das aus der Sicht der Journalistin Sophia, die mit 38 gerade beruflich in der Krise steckt. Als sie den Auftrag erhält, für das Jahresprogrammheft eines renommierten Orchesters (das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansons ist unschwer zu erkennen) die Texte zu schreiben, lernt sie den zehn Jahre älteren Daniel kennen. Von klassischer Musik hat sie nicht die leiseste Ahnung. Doch sie weiß, wie man Männer beeindruckt, die was zu bieten haben.

Leider ist das ein altes Klischee, aufgewärmt in vielen Fernsehserien und nun auch in diesem Roman. Die Journalistin geht mit dem Informanten schneller ins Bett, als man den Kontakt auf Tinder herstellen könnte. In "Vorleben" ist das Interview kurz und das Nachspiel deutlich länger: Sophia freut sich über den guten "Fang", sie zieht schon nach der ersten Nacht bei Daniel ein. Und weil sie nach Abgabe ihrer Auftragsarbeit nicht weiß, was sie an der Seite des Weltklasse-Cellisten den ganzen Tag machen soll, beginnt sie fast gegen ihren Willen, einen Roman zu schreiben - Daniel überredet sie dazu. Damit ist das Gleichgewicht zwischen den beiden zumindest formal hergestellt.

Der Ton bleibt geschäftsmäßig, das Paar wirkt irgendwie gehemmt

Wenn es um weibliche Gefühle geht, um das Innenleben der Frau, um die Lust, die anfangs treibende Kraft ist, bleibt das Buch eher blass und vage. Einige Male verheddert sich Oswald in Klischees, dann ist der Sex "zärtlich", "wild" und "leidenschaftlich", also schlichtweg zum Gähnen: "Sie liebten sich lange, und er schlief irgendwann, vor ihr, ein." Man könnte mit etwas gutem Willen auch sagen: Der Ton bleibt bewusst geschäftsmäßig, denn das Paar wirkt irgendwie gehemmt, trotz der Euphorie, die beide ständig simulieren müssen. Im Grunde schließen Daniel und Sophia einen Nichtangriffspakt: Über die Vergangenheit wird nicht geredet, vor allem nicht über frühere Beziehungen. Allerdings nährt das bei Sophia den Verdacht, dass etwas nicht stimmen kann. Als Daniel auf einer Konzertreise im Ausland ist, beginnt sie damit, sein Vorleben auszuleuchten.

Und auf einmal erweist sich Sophia als akribische Rechercheurin. Endlich hat sie ihr Thema gefunden. Der Roman, den sie nun, getrieben von Angst und Neugier, doch noch zu schreiben beginnt, handelt von einem schrecklichen Geheimnis, über das möglicherweise Daniels Tagebücher Aufschluss geben können: In welcher Beziehung stand ihr Freund zu der geheimnisvollen Nadja, die vor dreißig Jahren einem Verbrechen zum Opfer fiel?

Oswalds Stärke liegt darin, dass er das gesellschaftliche Milieu seiner Figuren sehr gut kennt. Man braucht entweder Geld oder Ansehen, am besten beides. In diesen Kreisen geht es auch um Distinktion. Jedes Pastaessen mit guten Freunden wird zur Leistungsschau. Wer seine handgemachten Cappellini bei der richtigen Nudelmanufaktur kauft und die Gamberini vom Fischhändler am Viktualienmarkt, bei dem bereits Bill Clinton zu Besuch war, der hat es definitiv geschafft. Oswald macht sich einen Spaß daraus, die Blasiertheit dieses Lebensstils vorzuführen.

Im zweiten Teil ist "Vorleben" auch ein Buch über München und die Menschen, die aus dieser Stadt allmählich verschwinden. Am Beispiel des Glockenbachviertels, in dem es in den Achtzigerjahren legendäre Absturzkneipen und Musiklokale gab, beschreibt der Autor die Immobilienblase, die einfach nicht platzen will. In dieser sterilen Wohlstandswelt fängt Sophia irgendwann an, alles in Frage zu stellen. Sie bohrt ein Loch durch die Oberfläche, bis sie dorthin gelangt, wo es schmutzig und gefährlich wird. Und dann ist dieses Buch doch noch ein Krimi, den man dringend zu Ende lesen möchte.

Georg M. Oswald: Vorleben. Roman. Piper Verlag. München 2020. 224 Seiten, 22 Euro.

© SZ vom 16.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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