"Herr Puntila und das Riesending in Mitte":Der Bluff

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Etwas Regie hätte dem Abend vielleicht ganz gutgetan: Inga Busch in "Herr Puntila und das Riesending in Mitte" an der Berliner Volksbühne. (Foto: Luna Zscharnt)

René Pollesch macht es sich an der Berliner Volksbühne weiter sehr gemütlich.

Von Peter Laudenbach

Die Selbstironie funktioniert schon mal. Astrid Meyerfeldt mault zu Beginn des Abends, dass sie es satthabe, schon wieder das gleiche Stück zu sehen. Und in der Tat wirbt das Banner im Bühnenbild von René Polleschs neuer Volksbühnen-Inszenierung für dessen vorangegangene Volksbühnen-Inszenierung. Offenbar ist sein Theater in endlosen Wiederholungsschleifen gefangen.

In Polleschs neuer, aber in ihren Bestandteilen eben sehr vertrauter Inszenierung mit dem hübsch gedrechselten Titel "Herr Puntila und das Riesending in Mitte" macht er sich einen Spaß daraus, genau diese Selbstreferenzspiele auszustellen: Ich weiß ja, dass ich schon länger nichts Neues mehr zu sagen habe, aber ist es nicht lustig anzusehen, dass ich einfach weitermache?

Was man hört: beliebig austauschbares Textmaterial, weil man auf der Bühne halt über irgendwas plaudern muss

Nun ja. Der Titel des Abends ist natürlich purer Fake. Mit dem berühmten Brecht-Alkoholiker-Klassenkampf-Schwank "Herr Puntila und sein Knecht Matti" hat er nicht das Geringste zu tun, und dass es sich bei der Routineübung um ein Riesending handelt, glauben hoffentlich nicht mal die Beteiligten. Die Bühne (Nina von Mechow) jedenfalls ist ein ironischer Scherz: Mächtig ragt das Halbrund einer Fassade hinter Vordach und vorgelagerten Säulen in den Bühnenraum, unverkennbar eine Variation der Volksbühnenfassade in moderner Sichtbetonausführung. Aber auch das ist natürlich nur ein Bluff. Erst ruckelt die Fassade ungeduldig hin und her, dann zeigt sie nach einer halben Runde auf der Drehbühne ihre Rückwand: alles hohl.

Dazu passen die locker aneinandergereihten Textbausteine, in denen es ausgiebig um Protzbuden geht. Wer will, kann das als selbstironischen Hinweis auf Polleschs Theater verstehen: "Das ist die reinste Angeberei hier", erkennt Franz Beil. Kann man so sagen. Gegen diesen Eindruck kommen auch die tapferen Darstellerinnen nicht an. Beil, Meyerfeldt, Christine Groß, Inga Busch und ein lustiger Laienchor arbeiten sich eher mühsam als beschwingt durch den Abend, dessen 100 Minuten sich arg lange hinziehen. In anderen Sprechblasen geht es zum Beispiel um den Wohnungsmarkt und aus Prenzlauer Berg weggentrifizierte Ureinwohner-Ostler, aber auch das ist nur beliebig austauschbares Textmaterial, weil man auf der Bühne halt über irgendwas plaudern muss.

Zwecks Traditionspflege werden einigermaßen sinnfrei Adorno, Brecht, Marx und Heiner Müller zitiert. Lustiger sind schon die "My Fair Lady"-Zitate, da geht's ja irgendwie auch um Distinktionsspiele und Klassengegensätze. Vollends in die unangenehme Mischung aus Coolness-Pose, Angeberei und Insiderjokes rutscht die Veranstaltung, wenn sich Pollesch an die Theorielektüren seiner Studentenzeit erinnert und vergessene Marxismus-Germanisten und Brecht-Spezialisten aus dem Archiv holt. Und alles nur für den müden Scherz, Brechts Lehrstück-Konzept eines Theaters ohne Publikum sei doch ideal für den Pandemie-Lockdown, in dem man ohnehin nicht vor Publikum spielen darf.

Das passt ins unerfreuliche Bild, das die Volksbühne unter Pollesch bisher bietet

Auf einem ähnlich zähen, eitlen und belanglosen Level bewegen sich auch die anderen Theater-über-Theater-Scherze, etwa wenn endlos über die Überflüssigkeit von Regisseuren räsoniert wird, schließlich wisse die Schauspielerin am besten, wie sie spielen wolle ... Exakt an dieser Stelle denkt man, dass etwas Regie dem Abend vielleicht ganz gutgetan hätte.

Die Veranstaltung passt so aber ins unerfreuliche Bild, das die Volksbühne in der ersten Saison von Polleschs Intendanz bisher bietet. Der Spielplan ist erstaunlich dünn. Neben drei Übernahmen und einem Dilettanten-Abend der Jugendabteilung des Hauses, der mit Theater so viel zu tun hat, wie der durchschnittliche Krächzgesang unter der Dusche mit Maria Callas, ist die gelangweilte neue Pollesch-Show auf der großen Bühne exakt die zweite Premiere in dieser Spielzeit. Das ist ein Armutszeugnis.

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