Reinhard Mey wird 80:Moralist der unaufdringlichen Sorte

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Reinhard Mey, Liedermacher, verspielter Satiriker und Meister der Sprache, wird 80.

Von Holger Gertz

Oft möchte der sensible Künstler mit seinem größten Werk irgendwann nichts mehr zu tun haben. Er distanziert sich innerlich davon, sieht andere Werke nicht genug beachtet, macht letztlich ein Problem aus dem Erfolg, ein Problem aus allem. Wie angenehm dagegen - und wie bezeichnend -, den Liedermacher Reinhard Mey über sein populärstes Lied reden zu hören, "Über den Wolken" heißt es, jeder kennt es. Ein Volkslied, im allerbesten, allerfrischesten Sinne. Und Mey kündigt es bei Konzerten inzwischen mit Worten wie diesen an: "Ich mag es noch so oft gesungen haben, so lange, wie sie mir dabei zuhören, wenn ich es singe, ist es für mich, als würde ich es zum allerersten Mal singen." Wer hätte so etwas im Repertoire: Eine Liebeserklärung an sein eigenes Lied.

"Über den Wolken" - für die, die noch nicht so lang dabei sind - erzählt von einem, der den Flugzeugen hinterherschaut. Und sich dabei vorstellt, dass über den Wolken die Freiheit wohl grenzenlos sei. Ein Sehnsuchtslied, ein Lied gegen die ewigen Alltagsängste, es stammt von 1974, als man dem Fortschritt noch etwas abgewinnen konnte. "In den Pfützen schwimmt Benzin, schillernd wie ein Regenbogen", sang Reinhard Mey und musste sich noch keine schwereren Gedanken über die Umweltbelastung durch diesen Treibstoff machen. "Irgendjemand kocht Kaffee/ in der Luftaufsichtsbaracke", einer, der diesen Begriff in ein Lied einpflegt, hat natürlich der inneren Schönheit der deutschen Sprache ein Denkmal gesetzt. Wobei, zu seinen großen Flugliedern gehört auch "Lilienthals Traum". Mey porträtiert den Luftfahrpionier Otto Lilienthal, der fliegen wollte und fliegen konnte und am Ende doch abstürzte. In sieben Minuten: alles Wünschen und Verzweifeln eines Lebens, eines Menschen und aller Menschen, so poetisch wie präzise: "Man kann die Sehnsucht nicht erklären, man muss sie selbst erleben / Drei Schritte in den Abgrund und das Glücksgefühl zu schweben."

Seine Texte nie banal, aber auch nicht zu verkopft

Reinhard Friedrich Michael Mey, ein deutscher Liedermacher, für viele der deutsche Liedermacher. Seine Texte nie banal, aber auch nicht zu verkopft. Die Melodien eingängig. Wer über die Siebziger in Deutschland nachdenkt, dem fallen die Ölkrise ein, der Terror, die freie Liebe. Ein bewegtes und bewegendes Zeitalter. Reinhard Mey war damals unfassbar populär, und wenn man all die Lieder nachhört, kann man sich vorstellen, warum. Er sang damals über alles, was die Leute bewegte, er ordnete, indem er sang. Man hätte die Dinge des Lebens gern mit ihm besprochen und betrunken und beraucht. Sentimentalität wurde bei ihm nie übertrieben, alles blieb in der zumutbaren Dosierung. "Die Zeit des Gauklers ist vorbei", ein Abschiedslied, er singt, und es ist mehr als ein Anflug von Lakonie: "Hab' vieles falsch gemacht, gewiss / Wenn du vergessen kannst, vergiss."

Der dünne Sänger und Lederjackenfreak, das machte ihn sympathisch, beschrieb die Eintönigkeit von Kleine-Leute-Leben, ohne sich zu erheben, immer schilderte er, nie verurteilte er. In "Ein Tag" heißt es: "Beim elften Schritt links, dann ist's ruhig, wie's war / Wie gestern, wie morgen, wie voriges Jahr / Vom Fenster zur Turmuhr, ein Blick, es ist spät / Vom Fenster zum Sessel, vom Sessel zum Bett." Und, natürlich, "Gute Nacht, Freunde", das als Rausschmeißer in diversen Kneipen berühmt geworden ist, tatsächlich aber von Freundschaft handelt. Freundschaft, die nicht durch Bekundungen beteuert werden muss, sondern stabil ist, ohne dauernd etwas zu fordern. "Habt Dank, dass ihr nie fragt, was es bringt, ob es lohnt." Denn Reinhard Mey war auch als Moralist immer einer der unaufdringlichen Sorte.

"Gute Nacht, Freunde, es wird Zeit für mich zu geh'n. / Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette / Und ein letztes Glas im Steh'n." Wie wunderbar beiläufig das ist.

Ihn wieder live sehen zu können, so twitterten manche Fans, trieb ihnen Tränen in die Augen

Der Liedermacher Mey ist ein Beobachter, ein Balladensänger, ein verspielter Satiriker und ein Meister der Sprache, der die Begriffe Nabelbein, Jejunum und Knorpelfell in einen Song packt, als wäre es nix. In seinen späteren Jahren hat er mehr und mehr das Familiäre beschrieben, die Innensicht ist nicht jedermanns Sache, und natürlich wurde er von Parodisten veralbert, aber Mey hat sich rechtzeitig, ("Mein achtel Lorbeerblatt", 1972) schon eine gewisse Immunität gegen Einflüstereien aller Art zugeschrieben: "Die eine hör' ich sagen, ich sei der alte nicht mehr / Und andere wieder sich beklagen, dass ich noch der alte wär' / Dann sagt ein Musikkritiker, dem's an Argumenten gebricht: Sie war'n doch früher einmal dicker. Da widersprech' ich ihm nicht."

Seine Fangemeinde war und ist treu. Ihn nach der Pandemiepause wieder live sehen zu können, so twitterten welche, trieb ihnen Tränen in die Augen. Denn Reinhard Mey, den es immer schon gab, ein Star nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich und den Niederlanden, nimmt ja immer noch Lieder auf, er gibt immer noch Konzerte, seine Texte gibt es als Reclam-Heft. Aber er sieht auch immer noch aus wie früher, in der ganz großen Zeit deutscher Liedermacher. Und dass er an diesem Mittwoch achtzig Jahre alt wird, kann eigentlich nicht sein. Stimmt aber tatsächlich.

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