Reich-Ranicki und "Das Literarische Quartett":Erster Geiger der Dissonanz

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In der Kulisse der ZDF-Sendung "Das literarische Quartett": Sigrid Löffler, Hellmuth Karasek, Ulrich Greiner und Marcel Reich-Ranicki. (Foto: dpa)

Nicht Geplätscher und Geplauder war die Absicht, sondern Streit, der mit scharf geschliffenen Argumenten ausgetragen werden sollte: "Das Literarische Quartett" war ein Wagnis, auf das sich Marcel Reich-Ranicki begeistert einließ. Das Ergebnis wurde Kult.

Von Johannes Willms

Für alles gibt es ein Vorbild. Für das "Literarische Quartett" war es das von Bernard Pivot geleitete Literaturmagazin "Apostrophes", das im Programm des französischen Fernsehsenders Antenne 2 von Januar 1975 bis Juni 1990 ausgestrahlt wurde. Der große Erfolg dieses Magazins bewies: Auch im Fernsehen ließ sich ein Publikum für die Literatur gewinnen. Das Geheimnis dafür war, wie Pivot zeigte, diese buchstäblich beim Wort zu nehmen. Also reifte der Plan, im ZDF eine Debatte über literarische Neuerscheinungen anzuzetteln, die allen vermeintlich ehernen Gesetzen des Mediums Hohn sprach: "Talking heads" statt gefühlvoll inszenierter Bilder, für Literatur durch eine Kritik zu interessieren, die sich als lebhafter Widerstreit von Meinungen darstellte. Dazu brauchte es einen meinungsstarken, ausgewiesenen Literaturkenner, einen Kritiker, der sich nicht scheute, einfache, vielen verständliche Fragen zu stellen und diese ebenso einfach wie eingängig zu beantworten.

Alle diese Voraussetzungen erfüllte Marcel Reich-Ranicki in idealer Weise. Als er Anfang 1988 als Leiter der Literaturredaktion der Frankfurter Allgemeinen ausschied, war es naheliegend, ihm ein neues Forum zu verschaffen. Das gab den Anstoß zur Gründung des "Literarischen Quartetts", in dem ihm die Rolle des Primgeigers zugedacht wurde. Die Besetzung des Gründungsensembles, das am 25. März 1988 zum ersten Mal live im ZDF aufspielte, war mit Sigrid Löffler, Jürgen Busche und Hellmuth Karasek bewusst dissonant angelegt, denn nicht Geplätscher und Geplauder war die Absicht, sondern Streit, der mit scharf geschliffenen Argumenten ausgetragen werden sollte.

Beinahe wäre es gründlich schiefgegangen

Das Konzept der Sendung war ein Wagnis, auf das sich Marcel Reich-Ranicki ebenso begeistert einließ wie die anderen Ensemblemitglieder, die ihm vorgeschlagen wurden. Davon behagte ihm zwar nur ein Vorschlag wirklich, aber das vergrößerte das Wagnis. Schließlich sollte sich gerade das als Gewähr dafür erweisen, dass die Sendung ein Erfolg und schließlich Kult wurde.

Das brauchte aber seine Zeit, und beinahe wäre es auch gründlich schiefgegangen. Die Gefahr, dass das "Literarische Quartett" aus dem Programm verschwand, stellte sich binnen Jahresfrist mit der 5. Sendung vom 10. März 1989, in der Elfriede Jelineks Roman "Lust" ebenso detailliert wie kontrovers erörtert wurde. Für den zuständigen Fernsehausschuss genügte das damals als Anlass, sich mit diesem "Quartett" zu befassen. Eine Absetzung der Sendung drohte.

Die herausragende Qualität der Sendung verdankte sich vor allem dem komödiantischen Talent Marcel Reich-Ranickis, der aus Leidenschaft für die Literatur und mit der ihm eigenen unerschöpflichen Wortgewalt bisweilen vernichtende Verrisse formulierte. Für ihn erfüllte sich eben darin das Versprechen, das er einleitend der ersten Sendung abgab: "Wir werden über Bücher sprechen, und zwar, wie wir immer sprechen: liebevoll und etwas gemein, gütig und vielleicht ein bisschen bösartig, aber auf jeden Fall sehr klar und deutlich". Daran hat sich Marcel Reich-Ranicki immer gehalten; dem verdankte er seine große Anerkennung und Popularität wie andererseits aber auch Verachtung und Spott.

Die Nachrede, "das Fernsehen als Eitelkeitsmaschine" sei "seines Daseins Glück und Unglück" und habe ihn als Kritiker "zugleich popularisiert und beschädigt", wie Sigrid Löffler einmal schrieb, als sie im Juni 2000 empört das "Quartett" verlassen hatte, hat ihn ebenso wenig getroffen, wie die Kritik von Kollegen, die ihm vorwarfen, allzu vereinfachend oder plakativ zu urteilen. Seine Antwort darauf gab er in seiner Autobiografie "Mein Leben", indem er auf die selbstgestellte Frage versetzte: "Gibt es im 'Quartett' ordentliche Analysen literarischer Werke? Nein, niemals. Wird hier vereinfacht? Unentwegt. Ist das Ergebnis oberflächlich. Es ist sogar sehr oberflächlich."

© SZ vom 19.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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