Regensburg:Schweizer Prozess

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Telefonieren nach einem Ausweg: Josef (Benno Schulz, links) und die Welt, aus der er sich gern fortschleichen wollte. (Foto: Jochen Quast)

Mélanie Huber eröffnet die Bayerischen Theatertage mit Kafka

Von Egbert Tholl, Regensburg

Vor zwei Jahren war sie bei "Radikal jung", jetzt eröffnet die Regisseurin Mélanie Huber die 35. Bayerischen Theatertage in Regensburg. Huber ist Schweizerin, und damals, am Volkstheater, war ihre Zürcher Adaption von Ingeborg Bachmanns "Radiofamilie" zu Gast. Am Zürcher Schauspielhaus feierte sie dann gleich noch einen weiteren Riesenerfolg, mit Melvilles Erzählung vom Schreiber "Bartleby". Ihre Dramaturgin damals ging dann ans Theater Regensburg, und so stellte sich der Kontakt her, der nun der Oberpfalz einen Einblick in die Schweizer Eigenart des auch musikalisch feinen Theaterschaffens gewährt.

Denn das sagt Mélanie Huber gleich im Gespräch, in ihrer warmen, charmanten Schweizersprache: Man wolle ein poetisch-humorvolles Traumspiel erzählen, ein Bildertheater mit Gesang und auch Slapstick. "Die Schauspieler sind gefordert; sie müssen in einem hohen Tempo spielen, einige singen a capella." Die Liedtexte dafür sind original Kafka, verschachtelt zu Songs. Die Fassung insgesamt stammt von Stephan Teuwissen, wie auch damals die Melville-Dramatisierung. Eine ganz eigene Stückfassung soll es sein, mit hohem Respekt vor Kafkas Roman.

Es steht zu erwarten, dass man einen auch sehr lustigen Kafka erleben wird, also weniger das böse Gesetz von oben, vielmehr Josef als "selfmade loser". Tatsächlich ist ja vieles im "Prozess" sehr komisch; da passt es schon gut, dass Huber den Josef, also die Hauptfigur, als jemanden sieht, der "weltfremd durch die Welt stolpert", diese zu gestalten sucht oder sich zumindest aus dem Geschehen fortschleichen will. Keine trüben Schwarz-Weiß-Figuren, eher Käuze, so denkt man sich, und Käuze sind halt immer ein bisschen beides, tragisch und komisch, auf keinen Fall grau.

Und: Es gibt bei Mélanie Huber viele Frauen. Tatsächlich, sollte man den "Prozess" im pubertären Alter gelesen haben, bleibt ja da eine Szene immer im Gedächtnis, jene, wo sich ein Schühchen von einem Füßchen löst. Huber: "Von Füßchen und Schühchen haben wir schon einiges." Kafka ist ja auch ein Meister im sinnlichen Beschreiben von Physis, die auch mitunter seltsam sein kann. Also die Physis, nicht die Beschreibung. Und eben diese Körperlichkeit will Huber auf die Bühne bringen.

Doch der Grundmovens für ihre weibliche Besetzung rührt daher, das sie insgesamt das Frauenbild bei Kafka sehr veraltet findet. Im Roman findet sie schwache Figuren und "Fräuleins", reinbringen will sie starke Frauen, die auch liebenswert sind und über eine erotische Komponente verfügen. Keine Fratzen. Lieber Leichtigkeit trotz Tragik, daruntergezogen eine Ebene elektroakustischer Musik, darüber ein Spiel des ganzen Ensembles miteinander. Nur der Josef ist einer, nämlich der Schauspieler Benno Schulz, und Benno Schulz spielt auch nur den Josef. Alle anderen spielen bis zu fünf Rollen, und aus diesem Spiel soll nichts Schweres, Intellektuelles entstehen, sondern etwas, das "im besten Fall berührt".

Bleibt nur eine lustige Frage: Mit dieser Premiere eröffnet das Theater Regenburg die 35. Bayerischen Theatertage, und diese tragen ein Motto: "Wildes Bayern". Also nicht wilde Schweiz, wildes Prag, wildes Theater, was auch immer. Aber: Ein junge Schweizerin, bei der gerade die Karriere außerhalb ihrer Heimat beginnt, die nun auch anfängt, im deutschsprachigen Raum insgesamt zu inszenieren, das hat vielleicht dann doch etwas Wildes, und sei es ganz einfach, weil da eine neue Stimme in der Regie sich aufmacht, ihre Sicht auf die Welt herzuzeigen. Eine Sicht, der man, denkt man nur an das Telefonat mit Frau Huber, gerne folgen will.

Danach folgt ein komprimierter Irrsinn: Die Theatertage dauern von 28. Mai bis 10. Juni, versammeln 35 Theater und 55 Produktionen, darunter viele aus dem Bereich Kinder- und Jugendtheater. Noch nie waren die Theatertage, Kaleidoskop der bayerischen Theaterszene vom Münchner Residenztheater bis zum Chapeau Claque in Bamberg, von Wasserburg bis Coburg, so groß. Übrigens: Von nun an finden sie im Zweijahresrhythmus statt. Also noch schnell hin.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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