Raubkunst:Konkurrenz des Unrechts

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Deutschland verpflichtet sich als erstes europäisches Land zur Rückgabe kolonialer Raubkunst. Darauf einigten sich die Kultusminister. Allerdings weicht man der Frage nach dem "Wann" aus.

Von Jörg Häntzschel

Das Wichtigste an der am Mittwoch verabschiedeten Erklärung von Bund, Ländern und Kommunen zum Umgang mit kolonialer Raubkunst in den Museen, ist die Tatsache, dass sie überhaupt existiert. Dass es gelang, eine Position zu formulieren, die nun für alle öffentlichen Institutionen in Deutschland gilt. Deutschland ist mit dieser Erklärung das erste europäische Land, das sich auf allen staatlichen Ebenen dazu verpflichtet hat, seine Kolonialvergangenheit aufzuarbeiten und geraubte Objekte - ob einige oder viele, muss sich zeigen - aus seinen Museen zurückzugeben.

Der Impuls ging vom französischen Präsidenten Macron aus, der 2017 angekündigt hatte, innerhalb von fünf Jahren die Bedingungen zur Restitution von während der Kolonialzeit in Afrika geraubten Objekten in französischen Museen zu schaffen. Der im November veröffentlichte Bericht, den die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der Ökonom Felwine Sarr für ihn geschrieben haben, unterfütterte Macrons Projekt intellektuell und befeuerte eine weltweite Debatte. Erst letzte Woche verpflichteten sich die niederländischen Museen, Raubkunst zurückzugeben. Der 200-seitige Bericht von Savoy und Sarr lässt einen euphorisch zurück, das neunseitige deutsche Papier ist ernüchternd bis enervierend. Doch bis Macrons Regierung die Empfehlungen der beiden Experten umsetzt, hat es mehr Gewicht. Hier verpflichten sich Politiker auf die Schritte, die sie nun selbst gehen müssen. "Hinter diesen Stand kann keiner mehr zurückfallen", so einer der Mitwirkenden.

Natürlich hat ein solcher Kompromiss, aber auch die Selbstverpflichtung einen Preis. Wer auf eine Road Map für Restitutionen hoffte, wie sie Savoy und Sarr entworfen haben, wird enttäuscht. Fast Wort für Wort sprechen die Autoren in der Präambel Macrons Schlüsselsatz nach: "Wir wollen ... die Voraussetzungen für ... Rückführungen von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten (schaffen), deren Aneignung in rechtlich und/oder ethisch heute nicht mehr vertretbarer Weise erfolgte." Doch wenn es ums Konkrete geht, vermeiden sie jede Festlegung. Sie stellen erstens fest, dass die "generelle Bereitschaft zur Rückführung von Sammlungsgut" wichtig sei; bemerken, dass es "einer ethisch-moralischen Verpflichtung" entspreche, geraubte Kulturgüter zu identifizieren und deren Restitution "zu ermöglichen"; und mahnen drittens, entsprechende Ersuchen seien "zeitnah zu bearbeiten". So viel rhetorische Akrobatik, nur um nicht zu schreiben: geraubte Objekte sind zurückzugeben!

Die Kultursenatoren von Berlin und Hamburg, Klaus Lederer und Carsten Brosda, die als Mitglieder der neuen Kulturministerkonferenz der Länder treibende Kräfte der Erklärung waren, versichern aber gegenüber der SZ, es gehe bei diesen Manövern nicht darum, Rückgaben am Ende aus dem Weg zu gehen. Die Vorsicht rühre nur daher, dass Kriterien dafür, was als geraubt gilt und was nicht, noch fehlten, und dass man sich bei den Rückgaben außerhalb heutigen Eigentumsrechts bewege. Dieser und viele andere Punkte bedürfen, das geben die Autoren zu, "noch einer Konkretisierung". Sie sollen in einem "weiteren Arbeitsprozess" mit Experten aus dem In- und Ausland, sowie mit Vertretern der Herkunftsländer "zu einer abschließenden Positionierung" ausgearbeitet werden. Wie und bis wann dieser Prozess ablaufen soll, bleibt allerdings offen. Für die Museen wird sich einiges ändern. Sie werden ermahnt, endlich ihre Bestände zu inventarisieren und im Netz einsehbar machen. Sie sollen die Umstände darstellen, unter denen die Objekte aus kolonialen Kontexten erworben wurden, und, natürlich, Provenienzforschung betreiben, aber, anders als heute oft, mit klaren Prioritäten. Außerdem müssen sie "selbständig und proaktiv Sammlungsgut identifizieren, das für eine Rückführung in Frage kommt", auch wenn noch niemand die Objekte zurückverlangt. Was die Erklärung beinahe scheitern ließ, war die Überzeugung einiger, man könne die Fragen nach Restitutionen nicht beantworten, ohne sich grundsätzlich zur Kolonialzeit zu positionieren. In einer Fassung bezeichneten sie Deutschlands Kolonialunternehmen als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Doch das stieß auf den entschiedenen Widerstand des Auswärtigen Amts. Dort fürchtet man, ein solches Bekenntnis zu Völkermord oder "crimes against humanity" könnte Reparationsforderungen in Milliardenhöhe von den Nama und Herero nach sich ziehen, die in New York gegen die Bundesrepublik klagen. Geblieben ist von dem Streit eine "Protokollnotiz" der Länder Berlin, Hamburg, Bremen, Thüringen und Brandenburg, in dem das koloniale Unrecht schärfer als im gemeinsamen Text benannt wird. Anderen ging es darum, den Eindruck zu vermeiden, das koloniale Unrecht werde nun gleichrangig mit dem Holocaust behandelt. Um das zu verhindern, stellt der Text klar, die neue Auseinandersetzung des Kolonialismus werde "nicht zu einer Reduzierung der Bemühungen und Maßnahmen zur Aufarbeitung des NS-Unrechts führen. Der Holocaust ist präzedenzlos und unvergleichbar." Diese merkwürdige Rivalität deutscher Unrechtsregime, die man hier, indem man sie unterbinden will, erst befeuert, geistert durch jeden Absatz des Papiers. In dem Begriff "Rückführungen" etwa, der statt dem gängigen "Restitutionen" verwendet wird, so als müsse man die Rückgabe von NS- Raubkunst unbedingt begrifflich von der kolonialer Objekte differenzieren. Kompensiert wird das, was das Papier an einklagbaren Aussagen schuldig bleibt, durch langatmige Absätze voller Worte wie "Dialog", "Versöhnung" oder "Verständigung". Über all diesen erinnerungspolitischen Rücksichtnahmen kommen die Herkunftsgesellschaften sehr kurz. Ihnen wurden "Kulturgüter geraubt, die für ihre Geschichte und ihre kulturelle Identität prägend sind", stellen die Autoren eingangs lapidar fest. Doch danach ist von ihnen kaum noch die Rede. Viel Raum erhalten statt dessen die Deutschen und ihr Gewissen, es geht um Schuld, Erinnern, Bewusstmachen. Die Menschen, die in den ehemaligen Kolonien auf ihre gestohlenen Objekte warten, haben davon wenig. Es bleibt zu hoffen, dass aus dem deutschen Projekt, das nun begonnen wird, tatsächlich ein internationales wird.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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