Prozess gegen Kunsthändler Helge Achenbach:Kunst als Machtmittel der Superreichen

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Dem Kunsthändler und "Insider" Helge Achenbach wird Betrug in Millionenhöhe vorgeworfen. Er machte die Albrechts glauben, ihnen wäre durch den Ankauf von Kunstwerken die perfekte Investition gelungen. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Aldi-Erbin Babette Albrecht sprach abschätzig von "den Dingern", wenn ihr Mann Geld in Bilder investierte. Doch im Prozess gegen Kunsthändler Achenbach wird klar: Es geht um die Macht des Geldadels.

Von Thomas Steinfeld

Vor dem Landgericht Düsseldorf wird seit einigen Monaten ein Prozess geführt, über den es oft heißt, er liefere ein "Sittengemälde" aus der Welt der Reichen und Berühmten. Verhandelt wird eine Betrugsklage: Der Kunsthändler Helge Achenbach soll Berthold Albrecht, einen der Erben der Lebensmittelkette "Aldi", um viele Millionen Euro betrogen haben. Dieser Erbe ist tot. Es klagt seine Frau, und es geht um Fotografien von Andreas Gursky, um Skulpturen von Donald Judd, um Gemälde von Gerhard Richter.

Produkt von Hochstapelei und Tristesse

Wenn Babette Albrecht von diesen Kunstwerken redet, die ihr Mann auch sammelte, weil sie hohe Zinsen versprachen, redet sie manchmal von "den Dingern". Später sammelte Berthold Albrecht auch historische Automobile. Seine Frau nennt sie "Trostpflaster" und beklagt sich über die Schwergängigkeit der Blinker.

Das Verfahren liefert deswegen viel mehr als ein "Sittengemälde": Denn im unmittelbaren Nebeneinander von Bauernfängerei und Gebrauchtwagenhandel fällt hier alle höhere Bedeutung von der Kunst ab. Das grenzenlos Wertvolle, das sie angeblich darstellt und das etwa in jüngster Zeit Preise von dreißig Millionen Euro für ein Gemälde von Gerhard Richter hervorbrachte: Hier erscheint es, auf seinen materialen Kern ("das Ding") zurückgeführt, als Produkt von Hochstapelei und Tristesse, Spekulantentum und Ignoranz.

Von Daniel Richter, einem anderen erfolgreichen Maler, ist die Bemerkung überliefert: "Nur bei der Kunst gibt's ja dieses absurde Moment, dass im Prinzip eben aus drei Bleistiftgekrickelstrichen auf billigem Papier etwas wird, was teurer ist als alles andere. Das wird vom Markt berührt, und dann verwandelt sich das plötzlich in Gold."

Der Leipziger Philosoph Christoph Türcke zitiert diesen Satz in einem jüngst erschienenen Buch, das Geschichte und Ableitung von Geld zugleich sein soll. "Mehr!" (Verlag C. H. Beck, München 2015) heißt dieses Werk, und es gibt darin ein Kapitel über den Kunstmarkt. In seiner gegenwärtigen Verfassung erscheint er dem Philosophen als Ende einer langen historischen Entwicklung, die in die "Aufhebung" der "Realwirtschaft" im Geldgeschäft mündet - "Aufhebung" dialektisch verstanden, als Einheit von Enthalten- und Verschwunden-Sein.

Die Kunst spiele gegenwärtig, so Christoph Türcke, vor allem deswegen eine so große Rolle in der Welt der großen Vermögen, weil sie als der in Kapital realisierten gesellschaftlichen Macht nicht nur als Geldanlage (diese wäre beliebig), sondern auch als Trophäe diene: "Ein Riesenhaufen von Geldpapieren und Papiergeldern drängte danach, sich in auratischen Körpern zu verkörpern", schreibt Türcke. Und als hätte Babette Albrecht diesen Satz gelesen, erklärte sie vor dem Düsseldorfer Gericht: "'ne Aktie ist 'ne Aktie. Kunst kann man sich wenigstens anschauen."

Während, wie Babette Albrecht weiß, mit dem Maschinenbau, dem Verlagswesen oder dem Lebensmittelhandel keine Renditen zu erreichen sind, die sich mit den Margen messen könnten, die zumindest bis zum Beginn der Krise 2008 in der Finanzwirtschaft gezahlt wurden, so ist es bei der Kunst immer noch anders - wobei der Kunstmarkt offenbar schon geraume Zeit nicht mehr als aparter, nur Eingeweihten zugänglicher und mit besonderen Risiken behafteter Bereich der Vermehrung von Geld und Vermögen gilt, sondern als selbstverständliches Element von Investmentstrategien und Portfolios.

Experten werden schnell zu Betrügern

Und wie in der Finanzwirtschaft findet die Vermehrung des Reichtums in dieser Sphäre nicht dadurch statt, dass billiger produziert und teurer verkauft würde, sondern durch Handeln - einschließlich der fortlaufenden Mobilmachung aller verfügbaren Elemente in Gestalt permanenten Verkaufens und Kaufens.

Diese Mobilmachung schließlich ist die natürliche Heimat der mehr oder minder unlauteren "Berater", der "Insider" und "Kuratoren", der Spezialisten für die "Hintergründe" und die "Kontakte". Helge Achenbach, der Theodor Albrecht zur Seite stand, dürfte vermutlich nur der besonders dreiste Fall eines solchen "Beraters" gewesen sein.

Ein "Investment" zeichnet sich auch dadurch aus, dass die dazugehörigen Investoren ihr Geld (plus Zinsen) unter Umständen gar nicht wiederhaben wollen. Denn nicht Ertrag und Rückzahlung sind der Zweck, sondern die Qualität der Investition - und die darin niedergelegte gesellschaftliche Macht. Auch dieses Wissen spiegelt sich in Babette Albrechts Satz über den Unterschied zwischen Aktien und Kunst.

Aus dieser Einstellung zur Investition in die Kunst geht dann nicht nur der moderne Sammler hervor, der das Museum, dem er seine Kunstwerke als Leihgabe überlässt, als Agentur gesteigerter Wertschöpfung benutzt, der also sein Investment systematisch so bewirtschaftet, wie es einem Investment gebührt. Die Folge ist auch eine Kundschaft, die, bereichert um russische Oligarchen, chinesische Milliardäre und britische Hedgefonds-Manager, nichts mehr mit der Kennerschaft einer ihr entsprechenden und sie historisch auch bewegenden Patronage zu tun hat.

Diese speziellen Käufer unterwerfen ihren Mangel an Sachkenntnis bewusst einer dafür honorierten Expertise, auf Treu und Glauben, was die Experten, die diesem Vertrauen nicht entsprechen, schnell zu Betrügern im traditionellen Sinne werden lässt.

Mindestens zwei Gründe gibt es, warum die bildende Kunst in besonderem Maße als Investment begriffen wird. Der eine liegt darin, dass sie durch das "Auratische" an ihr - also über ein in langen Traditionen aufgebautes System unerschöpflicher Bedeutung, an der Wissenschaft, Kritik und Museen gleichermaßen teilhaben - zum außerordentlichen Gegenstand an sich wurde. Dass die Kunst, eben wegen ihres auratischen Charakters, den üblichen Verwertungsformen des Kapitals nur unter Schwierigkeiten anzupassen ist, begründet nun vor allem ihren realen Wert.

Der zweite Grund ist darin zu erkennen, dass im Kunstmarkt jede Ware, Andy Warhol und die seriell arbeitenden Künstler nur scheinbar ausgenommen, mit den Insignien völliger Einmaligkeit daherkommt. In der Kunst scheinen sich Elemente einer verlorenen Welt erhalten zu haben, in der nicht für den abstrakten Raum des Marktes in Serie produziert wurde, sondern individuell und in jeder Beziehung beschränkt - und unter Einsatz genialischer Schöpfer.

Einzigartigkeit aber ist nicht das Gegenteil, sondern das höchste Ideal in der Konkurrenz. Einmaligkeit ist der Traum einer gelingenden Investition: die Idee eines finanziellen Engagements, das von nichts und niemandem herausgefordert werden kann und das daher eine wahrlich unendliche Wertsteigerung verspricht.

Nur die bildende Kunst wurde von einer Wertsteigerung ergriffen

Es wird vermutlich keine neuen Werke Albrecht Dürers mehr geben, und über die Vermehrung neuer, zeitgenössischer Werke von potenziell unendlichem Wert wachen die Kuratoren der großen Museen und Ausstellungen. Der Umstand, dass es bei diesen Werken um Einzelstücke in eng beschränkter Menge geht, scheint in den Augen der Käufer und der Besitzer eine Sicherheit des Investments zu begründen, wie sie keine andere Form der Geldanlage verspricht. In diesem Verhältnis liegt übrigens auch der Umstand begründet, dass von allen Künsten nur die bildende Kunst - und nicht etwa die Literatur oder die klassische Musik - von einer Wertsteigerung ergriffen wurde.

In der abfälligen Bemerkung steckt eine Erkenntnis

Von "den Dingern" sprach Babette Albrecht, als sie von den Kunstwerken redete, die Helge Achenbach ihrem Mann zu häufig überhöhten Preisen verkauft haben soll. In diesem Wort scheint auf der einen Seite das Kind zu sprechen, das den Kaiser in seinen neuen Kleidern sieht und dessen Nacktheit bemerkt. Andererseits aber verbirgt sich in dieser abfälligen Bemerkung auch eine Erkenntnis, wie weit es der Handel mit Kunst mittlerweile gebracht hat: dorthin nämlich, dass sich der Kunstmarkt von der Kennerschaft mittlerweile so weit emanzipiert hat, dass der höchste Preis sein eigenes Argument geworden ist.

Die Nachfrage nach "Dingern" gilt entsprechend nicht besonders guter oder besonders interessanter Kunst, sondern nur möglichst teurer Kunst - Werken, die möglichst viel Kapital anziehen und in sich bergen können, deren eigentliche ästhetische Qualität also in ihrem Preis liegt. In dieser Hinsicht, so lässt sich vermuten, hat der Kunstmarkt noch eine große Zukunft vor sich.

Am kommenden Montag soll im Verfahren gegen den Kunstberater Helge Achenbach das Urteil gesprochen werden.

© SZ vom 13.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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