Propaganda-Ausstellung in London:Botschaften aus der Flüstertüte

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"Potato Pete", ein britischer Cartooncharakter aus dem Zweiten Weltkrieg, zu sehen in der Ausstellung "Propaganda - power and persuasion" der British Library. (Foto: British Library)

Schock, Superman oder doch lieber das Bild mit dem Baby: Eine Londoner Ausstellung untersucht, wie Propaganda funktioniert. Unbeeindruckt vom Systemwechsel, bleiben die Mechanismen oft dieselben.

Von Alexander Menden, London

Ein paar Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlichte das "British Social Hygiene Council" einen Lehrfilm, der den Weg zur sozialen Gesundheit der Nation weisen sollte. Der Schwarz-Weiß-Cartoon lässt eine junge Familie an einer idealisierten Landschaft mit Bäumchen und Schlössern vorbeiflanieren; am Straßenrand tauchen Schilder auf, die "stabile Familie", "frühe Heirat", "emotionale Kontrolle" empfehlen. Die Spaziergänger ignorieren zu ihrem eigenen Wohl gewundene Seitenwege, die mit Drohwörter wie "Prostitution" gepflastert sind, und marschieren in eine fruchtbare Zukunft. Unterlegt ist das Ganze mit einer scheppernden Version von Franz Liszts "Préludes".

Nicht nur durch die Verwendung dieser als "Russland-Fanfare" in Wehrmachtsberichten bekannt gewordenen Musik ähnelt das Filmchen der Propaganda jenes Regimes, das die Briten gerade erst besiegt hatten. Noch überraschender als die formalen sind die inhaltlichen Parallelen zur Nazi-Idee der "Volksgesundheit".

Es ist eine Stärke der Ausstellung "Propaganda - Power and Persuasion" in der British Library, dass der Besucher nicht mit der Nase auf solche Analogien in den Botschaften konträrer Systeme gestoßen wird. Man erkennt von selbst, dass die Mechanismen der Propaganda immer wieder auf ähnliche Weise greifen und häufig auch sehr ähnliche Botschaften vermitteln.

Die Wahrheit, die man benötigt?

Kurator David Welch hat sich ein Riesenthema vorgenommen. Allein die Definition des Begriffs "Propaganda" ist knifflig. Ist sie "nichts anderes als die Kommunikation von Ideen, die dazu dient, Menschen zu einem bestimmten Denken und Handeln zu bewegen", wie der britische Kommunikationswissenschaftler Philip Taylor einmal sagte? Besteht die Kunst der Propaganda tatsächlich darin, "nicht etwa Lügen zu erzählen, sondern nach der Wahrheit zu suchen, die man benötigt, und ihr einige Wahrheiten beizumischen, die das Publikum hören will", wie es der Labour-Politiker Richard Crossman formulierte? Oder ist, um mit dem französischen Politologen Jacques Driencort zu sprechen, einfach "alles Propaganda"?

Plausibel erscheint jedenfalls, dass jene Propaganda die beste ist, die das Volk "durchtränkt", ohne dass es irgendjemand merkt. Die Formulierung dieses Qualitätsmerkmals verdanken wir übrigens Reichs-Propagandaminister Joseph Goebbels.

Ausdrückliche Verwendung findet der Begriff zuerst 1622 in der von Papst Gregor XV. eingerichteten, gegenreformatorischen "Heiligen Kongregation zur Propagierung des Glaubens". Dass eine wie auch immer klassifizierte Verbreitung einer gelenkten Sicht der Wirklichkeit so alt ist wie die Politik selbst, belegt die Schau mit einem verkleinerten Abguss der Trajanssäule, griechischen Münzen mit idealisierten Herrscherkonterfeis oder einem Napoleon-Porträt.

Um der Masse des Materials Herr zu werden, konzentriert man sich in London aber auf politische Propaganda seit Beginn des Ersten Weltkriegs - angefangen mit einem britischen Zeichentrickfilm, in dem ein Monster mit Pickelhaube das als unschuldiges Mädchen dargestellte Belgien entführt. Das ist angesichts der Verbindung, die Propaganda im 20. Jahrhundert mit den Massenmedien eingeht, eine durchaus sinnvolle Einschränkung. Etwa 200 Ausstellungsstücke, Plakate, Fahnen, Film- und Tonaufnahmen und natürlich Bücher wie die "Mao-Bibel" sind zu sehen. Produktwerbung, die andere allgegenwärtige Form moderner Indoktrination, bleibt allerdings ausgeklammert.

Aufgebaut in die sechs Abteilungen "Ursprünge", "Nation", "Feind", "Krieg", "Gesundheit" und "Heute" versucht die Schau, soweit wie möglich neutral die Mechanismen der Propaganda zu präsentieren. Die ikonografische Mythenbildung zur Festigung nationaler Identität ist dabei oft von charismatischen Einzelpersonen getragen: Sei das der junge Mao "auf dem Weg nach Anyuan, um dort persönlich die Flamme der Revolution zu entfachen", sei es Stalin, den ein Gemälde bei der Lektüre einer mittelalterlichen georgischen Dichtung zeigt, oder Nelson Mandela, den ein Wahl-Aufkleber von 1995, umgeben von schwarzen und weißen Kindern, als "Wahl des Volkes" apostrophiert. Überhaupt werden Kinder immer wieder als potentes Zukunftssymbol für alle denkbaren Zwecke ge- oder missbraucht. Bildbände, in denen Adolf Hitler, Eva Perón und der kasachische Staatschef Nursultan Nasarbajew sich mit strahlenden Kindern und kerngesunden Babys ablichten lassen, sind stilistisch austauschbar.

Fast wichtiger noch als ein gefestigtes Wir-Gefühl ist der Aufbau eines stabilen Feindbildes. Die Selbstentlarvung besonders jener Botschaften, die zur Dämonisierung vermeintlicher Feinde im Innern und von außen dienen, ist desto beklemmender, je besser diese ästhetisch umgesetzt sind. Zwar wirkt es aus heutiger Sicht schleierhaft, wie irgendjemand filmischen Klischeeanhäufungen wie Fritz Hipplers notorischem Machwerk "Der Ewige Jude" aufsitzen konnte.

"The White-Haired Girl", chinesisches Filmplakat von 1950, zu sehen in der Ausstellung "Propaganda - power and persuasion" der British Library. (Foto: British Library)

Doch bei ähnlich gehässigen, aber grafisch brillant gemachten Pamphleten, wie dem anti-religiösen Sowjet-Produkt "Der Atheist am Arbeitsplatz" ist die verführerische Kraft der Bilder weit eingängiger. Gezeichnet von Dmitrij Orlow, der im Zweiten Weltkrieg unter dem Namen Dmitrij Moor die Künstlerbrigade der Moskauer Kunsthochschule leitete, zeigt es fröhliche Bauern, die schreiende Ikonen-Heilige aus der Nase schnauben. Skurrilität hat eine längere Halbwertzeit als rassistische Frontalangriffe.

Wie sinnvoll die Verwendung einer einprägsamen, aber abstoßenden Bildsprache als Instrument im Kern positiver Botschaften ist, bleibt umstritten. Diese Schocktaktik hat besonders in Großbritannien eine lange Tradition. So zeigt ein Plakat von 1920, das vor den Gesundheitsrisiken von Insekten übertragener Erreger warnt, eine gigantische Fliege, die ein Kind überwältigt. Noch drastischer verfährt ein Kampagnen-Poster des Kinderschutzvereins Barnardo's von 2003, auf dem einem Neugeborenen eine Kakerlake aus dem Mund krabbelt.

Die Botschaft: Armut ist oft in die Wiege gelegt. Es hängt sehr von der Sensibilität des Betrachters ab, ob er sich bei diesem Bild die Zeit nimmt, sich mit seiner Bedeutung auseinanderzusetzen. Andere Kampagnen haben eine unwillkommene Art von Erfolg. So musste das US-Verteidigungsministerium das eigens gezeichnete Superman-Heft, das nach dem Balkan-Krieg auf Serbokroatisch vor den Gefahren von Landminen warnte, in aller Eile zurückziehen: Kinder begannen, absichtlich in Minenfelder zu laufen, weil sie hofften, Superman werde sie retten.

Momentan befindet sich die Propaganda entwicklungstechnisch in einer Umbruchphase. Beim Blick auf die Gegenwart konzentriert sich die Londoner Ausstellung auf Twitter-Feeds und soziale Netzwerke. Das sekundenschnelle Aufflackern globalen Interesses an Ereignissen wie der Wiederwahl Barack Obamas oder der olympischen Eröffnungszeremonie im vergangenen Jahr auf einem riesigen Plasma-Bildschirm zementiert den Verdacht, dass Themen und Botschaften es mit einer immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne zu tun haben.

Einerseits hat das Internet eine neue, offenere Form des öffentlichen Diskurses geschaffen. Facebook und Twitter ermöglichen Politikern in einem Grade quasi-privaten Zugang zu potenziellen Wählern, der bis vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Diese können ihrerseits aber auch genauer auswählen, welche Nachrichten sie an sich herankommen lassen. Durch die selektive Wahrnehmung einer zersplitterten, medial vermittelten Wirklichkeit bauen sie sich ihre Propaganda selbst.

Propaganda - Power and Persuasion. British Library, London, bis 17. September 2013. Info: www.bl.uk, Katalog 19,99 Pfund.

© SZ vom 24.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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