Porzellanikon - Europas größtes Spezialmuseum für Porzellan:Beständigkeit des Zerbrechlichen

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Wilhelm Siemen hat das Porzellanikon zu einem Museum mit überregionaler Strahlkraft gemacht. Jetzt geht der Gründungsdirektor in Ruhestand - nach 35 Jahren

Interview Von Sabine Reithmaier

Ohne den jahrzehntelangen Einsatz von Wilhelm Siemen wäre das Porzellanikon nicht die Institution, die es heute ist. Mit liebenswürdiger Beharrlichkeit ist es dem gebürtigen Westfalen gelungen, im Landkreis Wunsiedel einen einzigartigen Museumskomplex zu verwirklichen. Auf 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche in Hohenberg an der Eger und 8000 Quadratmetern in Selb bildet die Einrichtung ab, was die Porzellanbranche in den vergangenen zwei Jahrhunderten geschaffen hat. Kurz vor seinem Abschied in den Ruhestand erinnert sich der Gründungsdirektor an die nicht immer einfache Aufbauarbeit.

SZ: Sie sind seit 35 Jahren hier Direktor. Haben Sie ausgerechnet, wie viel Zeit Sie auf Baustellen verbracht haben?

Wilhelm Siemen: Bis jetzt noch nicht. Aber da kämen vermutlich einige Monate zusammen.

Was fanden Sie vor, als Sie im März 1984 Ihre Stelle antraten?

Nicht viel. Es fing mit einer Stellenanzeige an. Gesucht wurde jemand zum Aufbau und zur Konzeption eines Porzellanmuseums im Landkreis Wunsiedel. Als Standort geplant war die ehemalige Direktorenvilla der Porzellanfirma C. M. Hutschenreuther in Hohenberg an der Eger. Als ich anfing, war der vordere Teil der Villa restauriert, der Rest glich einer Ruine. Und ich war für alles zuständig.

In der Ausstellung "Stille Stars" mag es Kosmetikerin Kita im gleichnamigen spanischen Spielfilm von Pedro Almodóvar (1993) bunt und lebhaft, davon zeugen die Keramikfiguren und die farbenfrohen Fliesen. (Foto: Porzellanikon)

Hatten Sie vor, dauerhaft hierzubleiben?

Überhaupt nicht, meine Familie lebte weiterhin in Paderborn, am Anfang pendelte ich jedes Wochenende. Eigentlich war die Stelle zeitmäßig so gedacht, dass ich nebenbei meine Dissertation fertig schreiben konnte. Ich kannte die Gegend nicht. Aber als ich mich mit der Region und ihrer Kultur auseinandersetzte, spürte ich deren Kreativität und Differenziertheit. Schon hatte mich das Porzellan-Virus infiziert. Ein Jahr später war ich Museumsleiter.

Und begannen sofort zu bauen?

Logisch. Wir brauchten ja Flächen für die Sonderausstellungen. Mit 30 000 Besuchern war das Museum sehr schnell sehr erfolgreich. Hohenberg zählte zur Zeit des Eisernen Vorhangs auch als touristischer Ankerpunkt im Fichtelgebirge, hatte viele Übernachtungen.

Von Selb war noch nicht die Rede?

Die Weltstadt des Porzellans verfolgte interessiert den Erfolg in Hohenberg. 1986 las ich eines Morgens in der Zeitung, der Stadtrat habe beschlossen, ein Porzellanmuseum zu bauen. Das hat mich beunruhigt: Zwei Häuser mit demselben Programm nebeneinander - die kannibalisieren sich. Ich wurde aktiv bis hektisch, führte viele Gespräche, insbesondere mit dem damaligen Landrat. Das Ergebnis war, dass ich den Auftrag erhielt, ein Gesamtkonzept für beide Städte zu erarbeiten.

In der Ausstellung "Reine Form" in Hohenberg zu bewundern ist das Teeservice "Hallesche Form" mit Extrakännchen von Marguerite Friedlaender. (Foto: Angela Francisca Endress)

Warum entschieden Sie sich für zwei ganz unterschiedliche Ausrichtungen?

In der Villa wäre es nie möglich gewesen, authentisch Industriegeschichte zu dokumentieren oder die technische Keramik zu würdigen. Das passiert in Selb. In Hohenberg geht es um Form und Dekor mit dem Schwerpunkt Kulturgeschichte.

I n Selb bespielen Sie eine alte Fabrik.

Eigentlich wollten wir in die alte Realschule mitten in der Stadt. Aber die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen empfahl dringend, anders zu denken. Die damalige Leiterin sagte: "Sie kommen aus Westfalen, dort wird doch gerade ein Industriemuseum aus Industriebrachen gebaut." Zufällig erhielt ich zeitgleich den Hinweis auf den Gebäudekomplex in Plößberg, die zweitälteste Porzellanfabrik Selbs, 1866 gegründet von Jacob Zeidler, 1917 von Rosenthal aufgekauft. Genau genommen eine Riesenruine mit Hausschwamm und Böden, die durchbrachen. Aber ein Industriedenkmal ersten Ranges mit einem Bahnhof und Arbeiterwohnhäusern in der Nähe. Hier standen noch die alten Rundöfen, die sonst überall abgerissen worden waren. Trotz aller Mängel war ich total begeistert.

Und griffen sofort zum Spaten?

Eher zur Schaufel. Gemeinsam mit drei ABM-Kräften aus den neuen Bundesländern habe ich das Haus von 1990 an erst einmal entmüllt. Nach dem Auszug von Rosenthal hatten noch mehrere Eigentumswechsel stattgefunden, ein Großbrand 1984 gab dem Gebäude den Rest. Manche hätten uns das Geld lieber fürs Planieren als fürs Sanieren gegeben. Da war viel Improvisation gefragt. Glas holten wir vom Wertstoffhof, um die Scheiben dicht zu kriegen. 1991 konnten wir unsere Restaurierungswerkstatt einrichten. Ein riesiger Kraftakt, es war richtig abenteuerlich, bis 1994 der erste in sich geschlossene Bauabschnitt kam. Sechs sollten es werden, 2013 endete der letzte.

Jack, die Porzellan-Bulldogge, wacht auf dem Schreibtisch von James Bonds Vorgesetzter "M" in "Skyfall" (2012). (Foto: Porzellanikon)

Was haben Sie anfangs ausgestellt?

Eine Sammlung gab es noch nicht. Ich fing mit 600 Exponaten an, Kannen ohne Deckel, einzelne Teller, abgestoßene Sachen. Uns war schnell klar, dass es wenig Sinn macht, Porzellan aus dem 18. Jahrhundert zu sammeln, andere Museen hatten bereits uneinholbare Sammlungsbestände. Mit Blick auf die Region haben wir erstmalig das 19. bis 21. Jahrhundert bewusst fokussiert und den Schwerpunkt auf das gelegt, was in den Porzellanfabriken produziert worden ist und weniger in den Manufakturen. Wir haben damit absolutes Neuland betreten, da dies bis dahin vernachlässigt worden war.

Inzwischen besitzt das Porzellanikon eine Viertelmillion Exponate. Wo haben Sie die Stücke aufgetrieben?

Zum Teil auf Flohmärkten. In den Achtzigerjahren begann in Deutschland eine Zeit des Aufbruchs im Design. Der Aspekt stand vorher nicht im Fokus, die Begehrlichkeiten waren noch gering. Wir konnten, abgesehen von Rosenthal, mit sehr wenig Geld Objekte erwerben, die heute Ikonen des Designs sind. Natürlich erhielten wir auch Schenkungen. Und ich bin jedes Unternehmen abgefahren, war 1984 zum ersten Mal in Meißen, 1985 in Ungarn bei Herend und später auch in den Thüringer Fabriken. Dadurch verfügen wir über eine einzigartige Sammlung, die sich heute nie so wiederholen lassen würde. Dazu zähle ich die technische Ausstattung und das einzige deutsche Zentralarchiv für die Porzellanindustrie.

Wilhelm Siemen, Jahrgang 1955, studierte Geschichtswissenschaften und Publizistik in Münster. Nach einem wissenschaftlichen Volontariat am Freilichtmuseum Hagen kam er 1984 nach Hohenberg. Und blieb bis heute. (Foto: Porzellanikon)

Sie fingen mit zwei Teilzeitkräften an. Wie viele Mitarbeiter sind es heute?

50 an beiden Standorten, 42 Planstellen. Wir sind kein ganz kleiner Arbeitgeber.

Hatten Sie Angst um Ihr Museum, als die Porzellanfabriken dichtmachten und die Arbeitslosenzahlen stiegen?

Aber ja. Die Krise hatte massive Auswirkungen auf unsere kommunalen Träger und ihre finanzielle Situation. Wir haben ständig versucht, durch Drittmittel Gelder zu akquirieren, oft haben wir zwei Drittel unserer Betriebskosten so finanziert. Das funktioniert auf Dauer nicht. Aber in der Zeit stellte sich heraus, dass es richtig war, das Haus nicht kunsthistorisch auszurichten, sondern soziale und gesellschaftliche Aspekte mitzuberücksichtigen.

Warum?

Sammeln, bewahren, forschen - das genügt mir nicht. Ein Museum muss auch Menschen fischen. Porzellanherstellung hat viel mit Menschen und ihren Fertigkeiten zu tun, mit gewachsenen Traditionen und einer Verbundenheit zu den Unternehmen der Region. Das wollten wir deutlich machen. Dazu kam das steigende Gefühl eines epochalen Wandels, der das Haus mit seiner sozialhistorischen Ausrichtung bedeutsam machte. Wo sonst können Traditionen, Techniken, Lebensgeschichten gesammelt werden?

Sie waren überglücklich, als das Haus 2014 zum Landesmuseum wurde.

Das bedeutete die Absicherung für die Zukunft. Wir sind auch im staatlichen Bereich eines der wirklich großen Häuser.

Und die Besucherzahlen?

Da haben wir Luft nach oben. Die liegen so um die 40 000 im Jahr an beiden Standorten, wobei inzwischen eher Hohenberg unser Sorgenkind ist. Es wäre schön, wenn es meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin gelingen würde, das Haus noch mehr in den Fokus zu rücken.

Das Museum erntet doch nur begeisterte Kommentare in den sozialen Medien.

Aber dazu müssen die Besucher da gewesen sein. Sie hierher zu bekommen, ist immer noch ein riesiger Akt. Es gibt Museen, zu denen fährt man, egal wo sie liegen. So weit sind wir noch nicht.

Ihr Nachfolger braucht auch noch etwas zu tun. Mit Baustellen muss er vermutlich auch fertig werden?

Schon. Manche Bereiche sind nach 30 Jahren in die Jahre gekommen. Und der Freistaat hat vergangenes Jahr bisher noch fehlende Gebäudeteile der Fabrik angekauft, hier ist noch einiges zum Umbauen. Aber die Dinge entwickeln sich gut. Ich kann mit einem guten Gefühl gehen.

© SZ vom 05.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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