Porträt einer Musikerin:Näher am Klang

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Mit verblüffender Vielfalt virtuos: Asya Fateyeva. (Foto: Neda Navaee)

Virtuose Vielfalt: Die Saxofonistin Asya Fateyeva feiert mit der CD "Jonny" ihr Instrument. Bei Verdi-Arramgements verleiht sie ihm sogar so etwas wie Stimme.

Von Harald Eggebrecht

Das Saxofon gelte als die Stimme der modernen Salonmusik und trete in der Kunstmusik als ebenbürtiger Partner neben anderen Instrumenten auf, betont Asya Fateyeva. "Das Instrument sieht einer glanzvollen Zukunft entgegen." Das kann man von Asya Fateyeva, dieser 29 Jahre alten Saxofonistin selbst, auch sagen. Die weltweit gefeierte Künstlerin, Dozentin an der Hamburger Musikhochschule, hat eine so erhellende wie brillante CD vorgelegt. Auf "Jonny" (Berlin Classics) versammelt sie Kammermusik mit Saxofon aus den Zwanzigerjahren von Erwin Schulhoff, Adolf Busch, Anton Webern, Paul Hindemith und Musik aus Ernst Kreneks namengebender Oper "Jonny spielt auf" und Kurt Weills "Dreigroschenoper". Die neue CD feiert dieses Instrument.

Das Saxofon hatte es nicht leicht in Deutschland. Die Nationalsozialisten beschimpften es rassistisch, es sei eine "Negerpfeife", unfähig, "gute Musik" zu präsentieren. Das Plakat zur Ausstellung "Entartete Musik" 1938 zeigt die diffamierende Karikatur eines Schwarzen in Frack und Zylinder mit Judenstern und einem Saxofon. Das alles konnte und sollte mit "nordisch-arischen" Musikidealen nichts zu tun haben und war daher verfemt.

Von seinem Erfinder, dem Belgier Adolphe Sax (1814 bis 1894), war es zuerst als Orchesterinstrument gedacht. Es sollte die Durchschlagskraft bei Open-Air-Orchestern erhöhen, bei denen Holzbläser nicht sehr stark trugen, zum anderen sollte es einen gleichmäßigeren Klang liefern. Sax konzipierte gleich eine ganze Instrumentenfamilie vom Sopranino bis zum Kontrabasssaxofon. Als erster bekleidete er eine Saxofonklasse am ehrwürdigen Pariser Conservatoire.

Ravel gab dem Saxofon im "Boléro" prägnante Soli

Hector Berlioz hat den Zauber, der dem neuen Instrument innewohnte und innewohnt, sofort erkannt: Sein Timbre habe "etwas Beunruhigendes und Trauriges im hohen Register. Dagegen sind die tiefen Töne von grandioser Natur, man sollte sagen: priesterlich-würdig." Seine Komposition "Chant Sacre" von 1844, bei deren Uraufführung Adolphe Sax selbst sein Instrument spielte, ist leider verloren. Später setzte George Bizet das Saxofon in der Bühnenmusik zu Alphonse Daudets Stück "L'Arlesienne" ein.

Heute denkt man beim Saxofon unwillkürlich zuerst an den Jazz, der es nicht zuletzt deshalb früh für sich entdeckte, weil es vergleichsweise preiswert war. Die verschiedenen Jazzströmungen faszinierten die Komponisten in den Zwanzigerjahren: 1923 setzte Darius Milhaud das Saxofon in "La Création du Monde" ein, 1924 verwendete es George Gershwin in der "Rhapsody in Blue". Maurice Ravel gab den Saxofonen 1928 im "Boléro" prägnante Soli. 1925 charakterisierte Erwin Schulhoff die Qualitäten des Instruments: "Ärger lässt sich im Sopran wiedergeben, Melancholie im Alt, Jovialität im onkelhaften Tenor." 1930 komponierte er für den holländischen Virtuosen Jules Hendrik de Vries die Hot-Sonate für Altsaxofon und Klavier.

Dass das Saxofon ein klassisches Instrument geblieben ist, dafür sind diese Komponisten verantwortlich gewesen - und heute sind es Virtuosen wie Asya Fateyeva. Mit ihrer inspirierenden Spielfreude, ihrem bezwingenden Gestaltungswillen und ihrem betörenden Klangempfinden zählt sie zu den Besten ihres Fachs.

"Meistens spiele ich Sopran-, Alt- und ab und zu auch Tenor-Saxofon", sagt sie im Telefongespräch. Asya Fateyeva erzeugt hinreißende Saxofonklangabenteuer. Als sie, eine ausgesprochen gewinnende Bühnenerscheinung, vor ein paar Jahren beim Festival "Spannungen" in der Eifel auftrat, staunte der Geiger Christian Tetzlaff, er habe es nie für möglich gehalten, "dass man einen so schönen Ton aus dem Saxofon" herauslocken könne.

Asya Fateyeva wurde 1990 in Kertsch auf der Krim geboren: "Meine Eltern liebten klassische Musik, waren aber keine Musiker. Der Vater war Sportler, Fußballer, die Mutter Ingenieurin. Doch sie wollten mir dieses Reich eröffnen, also habe ich als Kind mit Klavier angefangen." Auch der Vater suchte nun nach einem Instrument und kaufte sich ein Saxofon. "Ich sehe ihn noch vor mir, er stellte sich mit dem Rücken zum Zimmer und spielte, wohl aus klanglichen Gründen, gegen die Wand." Da war sie zehn Jahre alt. Als sie das Saxofon selbst ausprobierte, war sie überwältigt: "Durch Hineinblasen den Klang unmittelbar zu erzeugen und zu beeinflussen, diese direkte Nähe zum Klang hat mich nie mehr losgelassen."

In Simferopol gab's Unterricht von Lilija Russanowa, die heute in Lübeck lehrt. Und auch die zweite wichtige Lehrpersönlichkeit in Moskau war eine Frau: Margarita Shaposhnikova, in Russland berühmt als Mutter des Saxofons. "Die Frauen spielen beim klassischen Saxofon schon früh eine große Rolle", betont Asya Fateyeva, "denn bereits Elise Hall, die Stücke bei Claude Debussy, Florent Schmitt und Vincent d'Indy in Auftrag gab, war passionierte Saxofonistin und Mäzenin." Ihr Studium setzte Asya Fateyeva mit 15 Jahren bei Daniel Gauthier in Köln fort. Es folgten Aufenthalte in Frankreich und gleichzeitig schon überall Konzerte.

Ihre frühere Scheu vor dem Jazz hat sie aufgegeben

Erwin Schulhoffs Hot-Sonate hat sie in einem Arrangement für Saxofon und Streichquartett an den Anfang der Jonny-CD gesetzt. Das Stück klingt in dieser Version ungemein raffiniert, frech, frisch nach "Modern Times". Doch gibt Asya Fateyeva zu bedenken: "Sax hat seine Erfindung der Zeit entsprechend als romantisches Instrument verstanden. Daher traue ich mich durchaus, Werke aus dieser Epoche dort, wo es passt, etwa Musik von Robert Schumann, für mich zu arrangieren." Auch Bach klinge auf dem Saxofon plausibel und effektvoll. "Schließlich waren Instrumentenwechsel im Barock durchaus die Praxis, je nach dem, was an Instrumentarium da war." Jedenfalls überrascht und überzeugt das Quintett für Altsaxofon und Streichquartett des berühmten Geigers Adolf Busch von 1925 in seiner spätromantischen Sehnsuchtsgestik und anziehenden melancholischen Eleganz sofort.

Fateyeva verblüfft, ob im Konzert oder bei Kammermusik, mit einer Vielfalt an Saxofon-Klangmasken. Bei Opernfantasien von Christian Lauba und Alexei Shor nach Giuseppe Verdi zum Beispiel wird ihr Saxofon ganz "Stimme". Bei Darius Milhauds 1937 komponierter "Scaramouche"-Suite für Altsaxofon und Klavier oder einem Arrangement von Sergei Prokofjews "Romeo und Julia" wechselt sie die Klangfarben, als gäbe es keine Grenzen. Auf "Jonny" bestechen Anton Weberns aphoristisch zugespitztes Quartett für Klarinette, Violine, Tenorsaxofon und Klavier und Paul Hindemiths bei aller Neuen Sachlichkeit virtuos vergnügliches Trio für Bratsche, Tenorsaxofon und Klavier, von den unwiderstehlichen Arrangements aus Kreneks "Jonny spielt auf" oder Weills "Dreigroschenoper" nicht zu reden.

Inzwischen hat sie ihre frühere Scheu als klassische Saxofonistin vor dem Jazz aufgegeben, es sei "die Entdeckung einer anderen Farbskala" auf dem Saxofon. Außerdem arbeitet sie intensiv mit zeitgenössischen Komponisten zusammen. "Denn mit deren Ideen entdeckt man immer neue Wege auf dem Instrument." Sie hat klare Wunschvorstellungen: "Toll wäre ein neues großes Konzert für Saxofon und Orchester!"

© SZ vom 24.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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