Porträt einer Generation :Der Kampf mit der Schreibmaschine

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Don Carpenter wollte ein großer Schrfitsteller werden, aber sein Roman "Freitags bei Enrico's" blieb unvollendet, als er 1995 starb. Jetzt hat Jonathan Lethem das unordentliche Meisterwerk herausgegeben.

Von Willi Winkler

Im Herbst 1984 versammelten sich die Freunde bei Enrico's und tranken auf den Mann, der nicht mehr dabei sein konnte, weil er sich mit einem soliden amerikanischen Revolver den weltwunden Schädel weggeschossen hatte. Francis Ford Coppola, Phil Kaufman, Thomas McGuane, Don Carpenter und noch mehr erzählten sich Geschichten über den toten Richard Brautigan, der mit "Forellenfischen in Amerika" ganz kurz ganz weltberühmt war, ließen sich und ihn und das alte San Francisco hochleben mit dem City Lights Bookstore und einer verblassenden Erinnerung an die große Zeit, als Jack Kerouac, William Burroughs und Allen Ginsberg noch greifbar nahe waren.

Aber die Beat Generation war fort, einfach weitergezogen oder schon gestorben, tot, tot wie jetzt auch Brautigan. Gut zehn Jahre später brachte sich Carpenter ebenfalls um, und wie beim bewunderten und beneideten Brautigan musste es ein Revolver sein.

Dies ist kein Werkstattbericht, sondern eine Mustererzählung über eine gefährliche Krankheit

Womöglich wollte Carpenter ein Buch über seinen unglücklichen Freund schreiben, meint im Nachwort Jonathan Lethem, der Carpenters Roman "Freitags im Enrico's" aus dem Nachlass herausgegeben, bearbeitet und ergänzt hat. Es ist aber zum Glück keine Biografie des amerikanischen Lord Byron geworden, kein gründlich ausgeleuchtetes Porträt dieses kleinen Meisters und großen Melancholikers, der Brautigan war, sondern einfach ein Buch übers Schreiben.

Übers Schreiben zu schreiben, über die Arbeit des Schriftstellers, ist so ziemlich das langweiligste Thema, gefürchtet auch vom geduldigsten Leser, den die Zipperlein des Autors so wenig interessieren wie sein kostbares Faible für Bleistifte im Härtegrad HB. Doch bei Carpenter wird es keine Werkstattbesichtigung, sondern eine episch dahinströmende Mustererzählung über eine gefährliche Krankheit.

Charlie Morel zum Bespiel will mindestens das Buch der Bücher schreiben, den "Moby Dick aller Kriege". Er war Kriegsgefangener, wurde gefoltert, schließlich todkrank in die Freiheit der späten Fünfziger entlassen. Es brodelt in ihm. Im Schreibkurs wird er selbst von seinen Lehrern wegen seiner Leidenserfahrung bewundert, alle erwarten diese Explosion von einem Buch, er bekommt ein Stipendium und den Abschluss nachgeworfen, er schreibt und schreibt, aber er bringt das Buch nicht fertig.

Hunderte Seiten schreibt er, legt sie im Karton zu den übrigen, schreibt weiter und findet sich nicht mehr heraus. Seine Freundin Jaime wird schwanger, sie heiraten, sie haben ein Kind, und Jaime wird unglücklich. Charlie liebt sie und weiß zwar nicht sich, aber ihr zu helfen. Sie soll schreiben, soll ihre Kindheitsgeschichte aufschreiben, und irgendwann tut sie es, schreibt mit leichter Hand ein Buch. "Nackt bis auf eine weiße Baumwollunterhose saß sie am Tisch, daneben schlief Kira unruhig in ihrem Bettchen. Sie schrieb die letzten Worte, zögerte einen Moment, schaute auf die Uhr und tippte dann: Ende, 4.23 Uhr morgens, 21. August 1962."

Es ist alles so einfach und alles furchtbar. Als Charlie aufwacht, muss sie ihm sagen, dass sie geschafft hat, was er immer wollte. Jaimes Buch wird bald ein Erfolg, es reicht für eine gute Wohnung und einen Porsche. Charlie ist längst kein Schriftsteller mehr, sondern unterrichtet Soldaten im Maschineschreiben; mehr ist ihm vom Schreiben nicht geblieben. Was soll er tun?

Er packt die Schachteln mit seinem inzwischen mehr als Tausend Seiten dicken Manuskript draußen neben die Abfalltonne, winkt Frau und Kind, steigt ins Auto und brennt mit einer anderen Frau durch. Was braucht es die große Ingeborg-Bachmann-Max-Frisch-Tragödie, wenn Carpenter das Schreiben als selbstmörderisches Geschäft in dieser Lakonie erzählen kann? Don Carpenter war wie sein scheiternder Charlie im Koreakrieg, wo er allerdings nicht Tbc bekam, sondern den Dichter und Zeichner Shel Silverstein kennenlernte, Autor später der Songs "A Boy Named Sue" (für Johnny Cash) und "Ballad of Lucy Jordan" (bekannt vor allem durch Marianne Faithfull). Er hat mehrere von der Kritik gelobte, also recht erfolglose Romane herausgebracht, ist aber nach Hollywood gegangen, in dieses "Bordell", wie es eine seiner Figuren nennt, in die Schreibfabrik, die schon Faulkner und Chandler angezogen und den labilen Fitzgerald völlig zermantscht hat.

Carpenter versuchte zu überleben, ohne seinen literarischen Ehrgeiz aufzugeben. Er lasse allen seinen Figuren Gerechtigkeit widerfahren, rühmte ihm die Kritikerin Pauline Kael nach, "keiner wird runtergemacht oder herablassend behandelt". Seinen Film "Payday" (Zahltag, 1973) über einen logischerweise erfolglosen Countrysänger wollte niemand sehen.

Carpenters Figuren haben manches von ihrem Autor, sie träumen vom Erfolg und müssen sich doch für viel weniger verkaufen, müssen sich die Bearbeitung, die Verhunzung ihrer Manuskripte gefallen lassen und dürfen froh sein, wenn sie überhaupt gedruckt werden. Hollywood, heißt es einmal, interessierte sich nicht für Literatur, "im Gegenteil, hier lernte er, wie man nicht so gut schrieb", denn es ging darum, alle "Ideen auf jene Art von Klischees zu reduzieren, jene wiedererkennbaren Gesten, aus denen Drehbücher vor allem zu bestehen schienen".

In einem richtigen Buch wie diesem muss das nicht sein, Literatur ist ein ganz anderes Königreich. Carpenter kannte selbstverständlich den ganzen Klatsch der Branche, er wusste einiges über Hollywood, über den intriganten Literaturbetrieb, über die Freunde, mit denen er zusammen trank, am meisten aber vielleicht doch über das Schreiben.

Einmal unterhalten sich drei Autoren, aus denen nichts geworden ist, ausgerechnet über den "Ulysses" von James Joyce. Der eine liest ihn schon zum dritten Mal, der andere mag ihn nicht, weil ein Ire keinen Roman aus Sicht eines Juden schreiben könne, der dritte, der hoffnungslose Charlie, dieses Genie, das selber kein Buch zustande bringt, dem hat immerhin das gefallen, was er verstanden hat. ",James Joyce ist tot', brach es schließlich aus ihm heraus, und heiße Tränen liefen ihm über die Wangen." Joyce ist da schon 25 Jahre tot. Jetzt mal ganz nebenbei: Wann wurde in letzter Zeit so innig von Literatur geredet, und was sie einem bedeuten kann?

Aber dieses Buch, dieser roman fleuve, dieses unordentliche Meisterwerk ist auch schon etwas älter, dreißig, vierzig Jahre. Erst jetzt ist er wiederentdeckt worden, zwanzig Jahre nach dem Tod des Autors. Carpenter hat lange daran gearbeitet, es aber nicht mehr vollenden können. Er habe nur fünf, sechs Seiten dazuschreiben müssen, behauptet Lethem, Übergänge, vermutlich hat er einiges gestrichen, Fehlversuche, manches auch bloß umgestellt, ein redaktioneller Vorgang, wie er auch im posthum vollendeten Buch vorkommt, wo er natürlich verdammt wird.

Es ist trotz dieser tödlichen Schreiberkrankheit, ein überraschend heiterer Roman geworden, woran die geschmeidige Übersetzung Bernhard Robbens ihren Anteil hat. (Das Geld für ein Korrektorat hätte Klett-Cotta trotzdem auswerfen können.) Obwohl es nur um Schriftsteller und ihren Kampf mit dem Schreiben, mit dem Erfolg geht, vor allem damit, dass er ausbleibt, ist es kein Schriftstellerbuch geworden, dafür ist es zu anspruchsvoll.

Anspruchsvoll ist auch Linda, die nicht schreibt, kein Interesse an Literatur zu zeigen scheint, aber Muse und Kunstrichterin zugleich ist, weil sie sich ihrem Vernehmen nach einmal in der gleichen Bar wie Kerouac aufhielt. Davor kann die Literatur der Jüngeren kaum bestehen. Als ihr zeitweiliger Freund sie um ein Urteil bittet, lügt sie ihm vor, dass ihr sein Text gefalle. Ob er aber das eine Stück von Kerouac kenne? Da kommt er nicht mit.

"Diese Dichter waren kluge, mutige Köpfe, die soffen wie die Tiere."

Auch wenn sie als Stifterfiguren ständig beschworen werden - schließlich ist Schauplatz überwiegend San Francisco - kommen die dauererigierten Dichter der Beat Generation überhaupt nicht vor. "Freitags im Enrico's" ist kein Schlüsselroman, niemand ist direkt vom Leben abgepaust, in Mischfiguren ist dennoch das halbe Kalifornien am Ende der Sechziger dabei: Brautigan, Tom McGuane, die irre Anne Lamott, der das Buch ursprünglich gewidmet war, sogar der junge Coppola. Die originellste Figur ist Stan Wenger, ein Dieb, der Angst vor Frauen hat, den aber dafür bei seinen Einbrüchen eine gewaltige sexuelle Erregung packt. Er klaut auf Bestellung Schmuck und Kleider, gerät dann in schlechte Gesellschaft, nämlich die von Schriftstellern, die ihn als extraexotischen Außenseiter adoptieren, ihm zutrauen, dass er selber schreiben könne, wofür ihm zunächst jede Ausbildung, jedes Talent zu fehlen scheinen.

Wenger ist den Klein- und Großkriminellen wie Gregory Corso und Henry Abbott angenähert, in die sich Ginsberg und auch Norman Mailer vergafften. Das Gefängnis, das er viel zu gut kennt, gibt ihn so wenig frei, wie der Schreibzwang seine Freunde loslässt. Wenger lernt das Schreiben auf die unwahrscheinlichste Art: in der Gefängniszelle imaginiert er sich seinen ersten Roman Bild für Bild und Wort für Wort. Er kommt frei, wird veröffentlicht, kann nach Hollywood ziehen und sich ein schönes Haus kaufen, hat aber immer noch Angst vor den Frauen. "Er wollte den Kopf auf den Tisch legen und weinen. Und da ihn niemand sehen konnte, tat er genau das." Es sind sicher nicht die "besten Köpfe meiner Generation", von denen der Rhapsode Ginsberg in seinem "Howl" zu singen und zu sagen wusste, nicht die "engelshäuptigen Hipster, die es nach der uralten himmlischen Verbindung" verlangte, sondern hoffnungslos Nachgeborene, auch wenn ihnen wie ihren Vorbildern das Schreiben das Heiligste ist. "Diese Dichter waren kluge, mutige Köpfe, die soffen wie die Tiere."

Es wird unglaublich viel getrunken in diesem Buch, es wird betrunken Auto gefahren, betrunken gevögelt, volltrunken gequatscht, aber heilig-nüchtern geschrieben. Jaime wird sich nie vom Überraschungserfolg mit ihrem ersten Buch erholen, weil sie jetzt zum lebenslangen Schreiben verdammt ist. "Sie hatte heute Kopfschmerzen und einen nervösen Magen, aber davon würde sie sich nicht abhalten lassen. Sie hämmerte die Worte einen schmerzhaften Buchstaben nach dem anderen aufs Papier und hielt oft inne, um verständnislos auf das Geschriebene zu starren." Jaime verzweifelt an ihrer Arbeit und hält sich für sterbenskrank, es ist der Albtraum. "Also tippte sie blindlings drauflos, dachte nicht mehr nach und ließ die Worte kommen." Es ist der Traum vom Schreiben.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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