Popmusik:Weg vom Mainstream

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Die Puls-Festivals des BR sind ein Korrektiv zur Kulturindustrie

Von Dirk Wagner, München

Schwarz lackiert sind die Fingernägel an seiner linken Hand, mit der der Tontechniker Ludwig Abraham gerade die Regler seines Mischpults verschiebt. Die unlackierten Finger seiner rechten Hand klopfen derweil schon beinahe rhythmisch auf einen rechts neben dem Mischpult positionierten Chorus, den Gitarristen normalerweise per Fußdruck aktivieren, um den Sound ihres Saitenspiels technisch zu verfremden. Dann greift Abraham zum Mikrofon und singt ein paar verhallte "Aaahs" und "Uuuhs" ins Klangbild der Essener Rockband International Music, die ihm gegenüber auf der Bühne des Studio 2 die volle Aufmerksamkeit der Besucher beim diesjährigen Puls-Festival im Bayerischen Rundfunk erfährt.

Wiewohl man die Leistungen der Tontechniker am Gelingen eines Konzerts nie unterschätzen darf, ist es eher normal, dass sie im Schatten des Geschehens stehen. Doch Abraham, dessen Debüt als Hörspielregisseur, "Der Tod kommt auf einem bleichen Pferd" von Thomas Meinecke, vor einer Woche erst im Bayerischen Rundfunk gesendet wurde, ist mehr als nur ein Tontechniker. Vielmehr gilt der Münchner Komponist und Produzent als der vierte Mann des Trios aus dem Ruhrpott, der sein Mischpult so virtuos spielt als wäre es ein Klavier. Bisweilen wirkt er damit so prägend auf den Sound der Band ein, als würde diese nur das Material liefern, aus dem Abraham erst das eigentliche Kunstwerk bildet. Hätten sie mehr Zeit zum Proben gefunden, würde er zusätzlich auch noch Synthesizer vom Mischpult aus spielen, verrät der mittlerweile am Schauspielhaus Zürich beschäftigte Abraham. Den Gitarristen von International Music hatte er übrigens während des gemeinsamen Musikstudiums an der Essener Folkwang-Schule kennengelernt.

Mit einer gelegentlich diskutierten Akademisierung der Popmusik hat das allerdings ebenso wenig zu tun wie der Umstand, dass beim nachfolgenden Auftritt im BR-Studio die Augsburger Italo-Schlager-Band Roberto Bianco & Die Abbrunzati Boys sogar Bezug auf den Kulturphilosophen Theodor W. Adorno genommen wird. Womit dessen Einlassung einmal mehr als bestätigt gilt, dass selbst seine Kritik an der meinungsmachenden Kulturindustrie ein Teil derselben sei.

Das Puls-Festival indes reagiert mit seinem Programm einmal mehr als Korrektiv auf genau diese Kulturindustrie. Mit seinem besonderen Augenmerk auf die heimischen Musikszenen, sowie mit einigen internationalen Acts zeigt es spannende Alternativen zum Pop-Mainstream auf. Ein seit 2014 etabliertes Highlight ist dabei die Zusammenarbeit mit dem Münchner Rundfunkorchester, das jedes Jahr mindestens einen Popmusiker live unterstützt. Dieses Jahr fiel die Wahl auf die Berliner Pianistin, Synthesizer-Spielerin und Sängerin Lisa Morgenstern, deren assoziative Songstrukturen spannend vermeintliche Pop-Elemente mit Klangmöglichkeiten vereinen, die gemeinhin der klassischen Musik zugeschrieben werden. Kein Wunder, dass sie die Möglichkeiten, die ihr nun die Unterstützung des Münchner Rundfunkorchesters bietet, deutlich besser auszuschöpfen weiß als all die Hip-Hop- und Pop-Musizierenden der Vorjahre.

Ähnlich wie der Fernsehmaler Bob Ross mit lapidaren Pinselstrichen ausschmückende Wölkchen ins Bild tupfte, schmückten in den vergangenen Jahren die Orchestermusiker ebenso eindrucksvoll wie überflüssig so manchen Popsong aus. Morgenstern hingegen komponierte eigene Stücke für die Kooperation. Entsprechend wird das Orchester von einem Arrangement gefordert, das in seiner erhabenen Erscheinung Pop und Klassik geradezu gleichsetzt. Und folgerichtig begleitete das Orchester Morgenstern auch einen Tag zuvor beim Puls-Festival in Erlangen.

Eigentlich wäre es auch angebracht gewesen, beide Festivals zu besuchen, da das Line-up so gestrickt war, dass drei Bühnen gleichzeitig bespielt wurden, so dass die Besucher des Morgenstern-Konzerts die wahrscheinlich beste Soul-Rock-Sängerin Münchens verpassten, nämlich Seda, deren Gesang es mit jedem noch so einfühlsamen Gitarrensolo aufnimmt. Da stimmen dann auch die eigentlich ja überflüssigen Assoziationen mit Janis Joplin oder Ami Winehouse. Das besondere Schmankerl in München ist dann aber eine eigene Bühne des Münchner Getränkeherstellers Aqua Monaco. Hier jammen Musiker des Monaco Jazz Clubs zu den Tracks von DJ Maximilian Ohl in einer Weise, die Jazzmusik tanzbar macht und Tanzmusik zu einem aufregenden Klangspiel erhebt. Da schmecken die veganen Tonic-Mischgetränke an der Bar gleich noch besser.

© SZ vom 02.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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