Seit gut zwei Jahren verehrt man zwar in meiner Welt die Sleaford Mods, doch bei aller Begeisterung für ein Duo, das erfolgreich Gangsterpoesie mit Sparpolitikverachtung verbindet, wäre zu erwarten gewesen, dass man das Geblöke von zwei Arbeiterklasse-Typen aus Nordengland zwei Jahre später nicht mehr für abendfüllend hielte. Jedoch: Die Abende sind erfüllter denn je in diesen Tagen und von großen Kalauern wie "Brian Eno! / What does he know?" kann ich weiter nicht genug bekommen.
Drei Gründe, warum das so ist. Erstens hatten wir das baldige Ende der Sleaford-Mods-Begeisterung wegen einer gewissen, nun ja, Strukturschwäche ihrer Kunst erwartet. Man kann auch Einfachheit dazu sagen. In einer Zeit, in der Pop-Musik entschieden kleine Geräusche und minimale Ereignisse auch im glamourösen Rahmen feiert und es immer häufiger um Haarspaltereien am Rande der Wahrnehmungsschwelle geht - sei es in der ständig wachsenden Ambientwelt oder beim posthumanen Soul von FKA Twigs - hält man den groben Reiz, das Bekenntnis zum Uringeruch, für nicht überlebensfähig. Und mit dem beginnt schon "Austerity Dogs", das 2013 erschienene erste Album der Briten. Und wie sprach neulich ein junges Paar, Eltern eines Neugeborenen am ersten Abend ohne Kind zurück auf den Straßen einer Großstadt: "Aaah, der Geruch von Urin, der nicht vom eigenen Kind stammt!"
Grobe Genüsse haben die Eigenschaft, schnell schal zu werden. Aber die Tiraden von Sänger und Rapper Jason Williamson veröden nicht. Das Geheimnis: Es ist gar nicht so grob, was ihm da aus dem Kiefer tropft. Es ist nur die Art und Weise der Aufführung dieser wie klassische Poesie gebauten Beschimpfungen einer Bourgeoisie, die es verdient hat, ja die eigentlich nicht einmal die Injurien wert ist, die er auf sie einprasseln lässt.
Die Syntax der Schimpfe ist von filigraner Feinheit und der Sinn für Timing atemraubend, obwohl Williamson nicht einmal ein vertrauter Groove unterstützt. Williamson deklamiert freihändig zu tuckernden und pochenden Beats, die sein Partner Andrew Fearn programmiert hat und die in ihrem lakonischen Minimalismus nichts anderes sein wollen als veredelte Metronom-Schläge. Es ist eben kein Hip-Hop, wie manchmal behauptet wird.
Der zweite Grund: Alle sind gegen Neoliberalismus, aber niemand findet die geeigneten Worte. Die geeigneten Worte sind Schimpfworte. Die sind aber heikles Terrain, weil die meisten Schimpfenden sie immer voller Stolz auf ihre tabubrecherische Tat einsetzen, was eher peinlich ist.
Die Syntax der Schimpfe ist von filigraner Feinheit, der Sinn für Timing atemraubend
Williamson macht das Gegenteil, er zeigt auch den Schimpfworten noch seine lakonische, bei aller produktiven Übelgelauntheit heitere Verachtung. Er scheint zu sagen, dass noch die fieseste Vokabel zu freundlich, ja opportunistisch ist angesichts britischer (und anderer) Neoliberalismusgewinnler.
Da er sie aber in seinem nordenglischen Dialekt so liebevoll dehnt, aufbläst und durch den Gaumen tanzen lässt, verlassen sie schließlich die Unappetitlichkeit und werden am Ende des Satzes, der Sequenz, zum Reim hin wieder ganz zu seinen Freunden. Sie belasten sich nicht mit dem, wovon sie ihren Sprecher doch die ganze Zeit distanzieren sollen.
Der dritte Grund: Es gibt nichts Besseres in der Kunst als eine einfache Formel, die etwas Kompliziertes erschafft - und dennoch als einfache Formel präsent bleibt. Zum Beispiel das zwölftaktige Blues-Schema in einem Stück des Miles-Davis-Quintetts. Oder die Idee, Blues zu beschleunigen und elektrisch zu verstärken. Hier lautet die Idee aber sogar, zwei so einfache wie geniale Formeln zusammenzubringen: die Formel Suicide und die Formel The Fall. Suicide waren Martin Rev und Alan Vega: also ein Programmierer und Keyboarder als manchmal romantischer, meist aber gnadenlos maschinenrhythmischer Vorwärtstreiber und dazu ein Rock'n'Roll-Sänger. Mensch und Maschine in so dicken Lettern, dass auch getauscht werden konnte und Sänger Vega zur Maschine werden, und Maschinenbediener Rev die reine Melancholie oder süßen Eskapismus programmieren konnte. The Fall waren gefühlte dreißig Bands, die wenig gemeinsam hatten, außer dass sie alle die ähnlich nordenglisch klingenden, in ähnlicher, wenn auch politisch sehr viel ambivalenteren Weise das Proletariat gegen die Bourgeoisie ausspielenden Tiraden des großen Zahnfäulnis-Patienten Mark E. Smith begleiteten, der zu seinem Publikum einerseits sagte: "Wir sind The Fall und der Unterschied zwischen uns und euch ist, dass wir Hirne haben", sich und seine Band andererseits aber auch als "fünf verrückte proletarische Idioten" bezeichnete. Die immer ins Rhythmuslose tendierenden ewig sarkastischen und immer ein bisschen quengeligen Monologe des Mark E. Smith sind eben, ähnlich wie es bei den Sleaford Mods den Anschein hat, nahezu mit allem kombinierbar, was nicht zu stark in den Vordergrund drängt.
Natürlich haben sie sich früh gegen den naheliegenden Vergleich mit Smith verwahrt: "fade Penner diskutieren die Verdienste von The Fall", heißt es bei ihnen. Tatsächlich wohnt Williamson nicht in seinem Dialekt. Er hüpft, rennt und turnt in ihm herum. Bei aller Lakonie im musikalischen Teil sind sie - ganz anders als The Fall - doch beatorientiert und keine Indie-Rocker. Die Beats sind in letzter Zeit allerdings immer smarter geworden, ohne von ihrer ausgestellten Armut und Einfachheit zu lassen. Die Sleaford Mods achten weniger auf ihre individuelle Weiterentwicklung als auf die Lebendigkeit ihrer Botschaft: Beschimpft die herrschende Klasse und alle, die mit ihr segeln: Sie haben es mehr als verdient. Wir haben viel zu wenig Bilder für ihre Scheußlichkeit. Die Witzfiguren sind in unseren Medien immer die anderen. Von heute an ist das Duo mit relativ wenig neuem Material auf Tour. Die beiden gehören eben auch nicht zu der üblichen Sorte Poptrottel, die nur tourt, wenn ein neues Album verkauft werden soll. In diesem Jahr müssen ein paar Singles und Kollaborationen reichen.
Tour: 24.4. Bochum, 25.4. Wiesbaden, 26.4. Köln, 28.4. München, 29.4. Salzburg