Popmusik:Der Normalste von allen

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Abkehr vom Zwang des Cool: Ringo Starrs neues Album "Postcards From Paradise" wirkt tattrig und zeigt, dass dem einst größten Ironiker der Beatles wohl leider inzwischen die Ironie verloren gegangen ist.

Von Jakob Biazza

Ringo Starr hätte da ein paar Lebensweisheiten. Achtung jetzt: "Entscheidend ist nicht, was du hast, entscheidend ist, was du gibst." Nicht, was man ernte, sei wichtig, sondern was man säe. Und: "Was zählt, ist nicht, wie du stirbst, sondern wie du lebst." Wir sind im letzten Drittel des Albums. Bei "Island In The Sun", dem ersten Song, den Starr zusammen mit seiner aktuellen All Starr Band geschrieben hat. Ganz manierlicher Reggae-Groove, wie ihn eine Rock-Formation eben spielt: schön brizzelnde Orgelflächen und ein paar halbwegs kraftvolle und oft gehörte Sätze von Bass, Gitarre und Bläsern. Es ist aber auch die Stelle, an der vielleicht sogar Fans des Schlagzeugers und Sängers zurückspulen. Noch mal nachhören. Und sich fragen: Meint er das jetzt ernst? Diese mehligen Gemeinplätze?

Und dies ist zugleich das größte Problem von Starrs Solo-Album "Postcards From Paradise". Falls jemand mitzählt: Es ist sein 18. Und: Er meint es wohl ernst. Dem einst größten Ironiker der Beatles ist die Ironie verloren gegangen. Und das brüllt nirgends so laut aus dem Album heraus wie beim Titelsong. Starr will darin eine Dame, nun, bezirzen würde man in seiner Altersklasse wohl sagen. Und er tut das, indem er ihr über einen schwer Räucherstäbchendunst-verhangenen New-Age-Beat Songtitel seiner früheren Band zu einer Liebesbotschaft collagiert.

Man muss da nicht sofort Angst bekommen. Der wunderbare Harry Nilsson, einst Lieblingssänger und Koma-Saufkumpan von John Lennon, hat etwas Ähnliches in seiner Version von "You Can't Do That" 1967 getan (bitte dringend im Vergleich hören) und damit eine grandios dadaistische Würdigung geschaffen. Wenn aber Starr nun seine Reime aufsagt, wirkt er tattrig. Wie ein etwas greiser Moderator, der Witze von Karteikarten abliest, die ihm der Gagschreiber gerade in die Hand gedrückt hat.

Natürlich ist es immer gefährlich, bei Popmusik allzu spitzfindig auf die Texte zu hören. Die Sache mit der Lyrik auf "Postcards From Paradise" ist aber, dass sie sich einfach nicht überhören lässt. Was man auch versucht: Zu sperrig steht das alles im Raum. Als hätte man den Sätzen einen zu großen Rucksack umgeschnallt und sie in ein volles Kaufhaus geschickt, manövrieren sie sich quälend langsam durch die Arrangements, ecken an, müssen ausweichen, wenden. Und am Ende stoßen sie die Vase doch von der Auslage.

Was nun das zweite Problem des Albums betrifft, die Musik nämlich, da gibt es ziemlich genau zwei Möglichkeiten: Die erste wäre, das Sammelsurium aus Bubblegum-Orgeln ("Rory And The Hurricanes"), bis zur Überreife abgehangenen Blues-Rock-Phrasen (fast alle Songs) und Kinderlied-Melodien im Maximalumfang von einer Quinte (ohne Ausnahme alle Songs) direkt zu Kirmes-Schießbuden-Gedudel zu erklären. Das ist fix und zielführend. Und sicher nicht ganz falsch.

Die andere Möglichkeit wäre, noch einmal drüber nachzudenken, ob das vielleicht doch geht: Popmusik zu machen ohne jede Form von Attitüde und Haltung der Welt gegenüber? Die Antwort ist natürlich: Nein. Wenn das überhaupt jemand könnte, dann wohl Starr, der ja selbst zu den Hochzeiten der Beatles dafür geliebt wurde, der Normale zu sein. Derjenige, der auch dann noch alles erdete, als die anderen zu Göttern verklärt wurden.

Nur er könnte das tatsächlich zum Konzept erklären: Musikmachen als Selbstzweck. "Postcards From Paradise" als Rückzug ins Private, als kompromisslose Abkehr von den Zwängen des Cool. "Island In The Sun" als finale Ironie. "Für mich warst du immer der beste Musiker der Beatles", schrieb ein Fan Starr jüngst auf Facebook. Das ist wohl auch ernst gemeint. Und wenn man das so sieht, ist das Album vielleicht sehr brauchbar.

© SZ vom 27.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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