Popmusik:Den Zweifeln vertrauen

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Michael Kiwanuka war schon einmal eine große Soul-Entdeckung - jetzt löst sein elegisches Album "Love & Hate" das Versprechen seines Talents ein.

Von Torsten Groß

Jahr für Jahr versammelt die BBC die wichtigsten Kritiker und Branchenleute Großbritanniens, um die hoffnungsvollsten Newcomer für das jeweils kommende Jahr zu ermitteln. So entstehen die "Sound-of"-Listen, die in vielen Redaktionen und bei Plattenfirmen für große Aufregung sorgen. Bereits die Longlist mit allen Nominierten wird von vielen als Auftrag für die Schwerpunkte der Pop-Berichterstattung der kommenden Monate verstanden, so war es jedenfalls bis vor vier oder fünf Jahren.

Adele und 50 Cent führten die BBC-Liste in der Vergangenheit bereits an, aber auch längst Vergessene wie The Bravery oder Little Boot s - und Michael Kiwanuka.

Im Januar 2012 versprach man sich vom Soul des jungen Londoners eine große Zukunft. Er schnitt in der damaligen Liste sogar besser ab als Frank Ocean. Das nach zwei EPs erschienene Debüt des damals 24-Jährigen war dann eine Reminiszenz an die großen Tage des Soul und in Teilen eine ziemlich unverhohlene Marvin-Gaye-Pastiche, wenngleich eine durchaus gelungene. Es war die Zeit, in der im Nachgang des Todes von Amy Winehouse ein großes Interesse an weniger skandalträchtigen Soul-Adepten bestand. Jedenfalls war Kiwanuka mit "Home Again" durchaus erfolgreich, und seine Musik beschallte so manchen geruhsamen Kaminabend.

Michael Kiwanuka aus London. (Foto: Universal Music)

Michael Kiwanukas Elegien beziehen ihre Kraft aus der Verwundbarkeit seines Gesangs

Das alles ist nun vier Jahre her, was in der Pop-Zeitrechnung einer Ewigkeit entspricht. Man hätte sich vermutlich nicht gewundert, wenn man den Namen Michael Kiwanuka nie wieder gehört hätte. Nun aber strahlt dieser Name heller denn je, und der Grund heißt "Love & Hate" (Universal). Auf diesem seinem zweiten Album frönt Kiwanuka oberflächlich betrachtet dem großzügig ausgestatteten Soul der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre. Der Zeit also, als vormalige musikalische Fließbandarbeiter und Radio-Hitlieferanten wie Marvin Gaye den Status des reinen Interpreten anderer Leute Songs hinter sich ließen - zugunsten ambitionierter Alben mit großer Besetzung, die sie im Rahmen galaartiger Inszenierungen aufführten. Kiwanuka hat ein großes Verständnis für diese Zeit und weiß sie beinahe perfekt zu imitieren, aber das ist eben bei Weitem noch nicht alles. Auf den zweiten Blick ist "Love & Hate" viel mehr als eine reine Reverenzplatte, und das liegt nicht zuletzt an der langen Pause.

Michael Kiwanuka hat sich schwer getan nach seinem Durchbruch. Der Musiker hat mit sich gerungen und verwarf zahllose Entwürfe. Er wollte den großen Wurf, doch es fehlte ihm der richtige Ansatz. Der Durchbruch kam schließlich in Gestalt von Brian Burton (Danger Mouse). Der Produzent ist bekannt als jemand, dessen Einfluss nur Leute hören, die mit seinem Werk aufs Tiefste vertraut sind. Burton gilt als großer Freund der Sechzigerjahre, als Liebhaber der Scores von Ennio Morricone und der Arbeit von Leuten wie Burt Bacharach. Er ist ein gediegener Ästhet, dem es wie nur wenigen gelingt, sogenannte Vintage-Sounds unbeschadet in die heutige Zeit zu übertragen und also zeitlos erklingen zu lassen. Eine Fähigkeit, die man vor allem seinen Arbeiten mit den ebenfalls den Sechzigerjahren zugetanen Black Keys anhört. Auf "Love & Hate" hat Burton nun in vorbildlicher Weise die Aufgabe eines guten Produzenten erfüllt. Er hat das Ansinnen seines Klienten erkannt, dessen Entwürfe intuitiv um die richtigen Verfeinerungen ergänzt und so das Potenzial dieser Musik maximal ausgelotet.

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Die zentrale Achse des Albums besteht aus drei sieben- bis zehnminütigen Elegien. Das eröffnende "Cold Little Heart" ist ein über zehn Minuten langes, kontinuierlich anschwellendes Epos mit flirrenden Streichern. Es geht um Selbstbehauptung, aber auch darum, dass manchmal keine Kraft mehr bleibt, um weiterzumachen. Im Titelsong, dem wahrscheinlich besten Stück auf dieser Platte, singt Kiwanuka in einer gospelhaften Selbstbeschwörung immer wieder "You can't take me down, you can't break me down". Eine Zeile, die ihre Kraft aus der Verwundbarkeit seines Gesangs bezieht: Man ist sich nicht sicher, ob Michael Kiwanuka sich sicher ist. "Father's Child" schließlich ist ein kostbarer Moment der Kontemplation und des Ankommens.

Dazwischen und danach wird immer wieder Kiwanukas umfangreicher musikalischer Background deutlich, weswegen "Love & Hate" eben nur auf den ersten Blick ein reines Soul-Album ist. Als junger Mann liebte er die Rockmusik, fühlte sich in deren Zirkeln seiner Herkunft wegen jedoch nicht willkommen. Er studierte eine Weile lang Musik und entdeckte den Jazz, außerdem ist der bewandert in der amerikanischen Folk-Tradition. All diese Einflüsse bündelt er auf "Love & Hate" in bislang nicht bekannter Konsequenz. "The Final Frame" erinnert einen an das eröffnende Riff des Skyliners-Klassikers "Since I Don't Have You", allerdings in der Version von: Guns N' Roses. "One More Night" hat ebenfalls ein kantiges Element und einen gewissen Aplomb. Einen kurzen Moment denkt man an die freilich misslungene "Harlem Shuffle"-Version der Rolling Stones. "Falling" schließlich lässt Kiwanukas Singer-Songwriter-Background durchscheinen.

Doch es ist nicht alleine die stilistische Offenheit, die "Love & Hate" zu einer durchaus zeitgeistigen Platte macht. Michael Kiwanuka ist ein herausragender Songschreiber, Gitarrist und Sänger. Gemeinsam mit Burton ist er nun zum Gesamtkünstler gereift. Und wie so oft in solchen Fällen war Verzweiflung die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen dieser Lieder vom Zaudern und Überlegen. "Love & Hate" ist eine in Teilen düstere und überaus nachdenkliche Platte. Sie ist geprägt von Rassismuserfahrungen und Zweifeln an der eigenen Identität. Das Besondere an dieser Musik ist, dass es Michael Kiwanuka gelingt, seinen Zweifeln zu vertrauen - und sie so in eine höhere Form zu überführen. Sein Soul ist tatsächlich Soul im ursprünglichen Sinne: Eine meditative Heilsmusik. Und was könnte man in diesen Tagen besser gebrauchen als Trost und Hoffnung?

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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