Popkolumne:Zukunftspop

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Die Popereignisse der Woche, unter anderem mit einem neuen Musikvideo von Donald Glover alias Childish Gambino, dem neuen Piano-Album von Chilly Gonzales und einem Nachruf auf den Pianisten Conway Savage, Mitglied der "Bad Seeds".

Von Annett Scheffel

Jason Pierce ist ein Mann, über den gerne gesagt wird, dass er seit fast 30 Jahren im Grunde ein und denselben Song immer wieder schreibt. Man kann das für gemein halten. Oder für ein Kompliment - je nachdem, ob man wehmütigen Spacerock mag, den Pierce mit seiner Band Spiritualized gern üppig orchestriert und mal in Richtung Shoegaze, mal in Richtung Free Jazz kippen lässt. Sein achtes Album "And Nothing Hurt" (Bella Union) soll nun seine Abschiedsplatte sein und klingt trotz reduzierter Aufnahmebedingungen (weniger ausgiebige Studio-Sessions, mehr Stunden alleine am Laptop) doch ziemlich groß. Da ist etwa das Eröffnungsstück "A Perfect Miracle", das er mit einem galaktischen Pfeifen und Ukulelen-Gezupfe beginnen lässt wie eine romantische Weltraum-Ballade. Oder "I'm Your Man" mit den warmen Bläsern und dem Gitarren-Solo, zu denen er im Video als Astronaut durch ein Amerika der staubigen Straßen und einsamen Motels streift: eine versehrte Seele, die am liebsten hoch in die Unendlichkeit der Sterne blickt. Falls er diesen Song wirklich schon seit drei Dekaden spielt, dann ist "I'm Your Man" seine Ehrenrunde.

Ein neues Video gibt es derweil von Schauspieler, Rapper und Alleskönner Donald Glover alias Childish Gambino. Das ist zwar nicht einmal halb so aufregend wie der apokalyptische Clip zu "This Is America", aber immerhin ziemlich witzig. Zur Single " Feels Like Summer" (RCA) spaziert ein gezeichneter Glover durch eine Comicwelt in Sonnenuntergangsfarben, in der sich eine lange Reihe von amerikanischen Hip-Hop-Künstlern wunderbar banalen Vorstadtbeschäftigungen hingibt: Travis Scott haut Nicki Minaj ihre Bauklötze um, Will Smith seift im Unterhemd sein Auto ein und Drake hechelt Future auf seinem geklauten Fahrrad hinterher. Die schönste Szene ist aber die, in der ein weinender Kanye West in "Make American Great Again"-Pullover von Michelle Obama mit einer Umarmung getröstet wird. Glover singt dazu seine Midtempo-R'n'B-Ballade über den Sommer. Keine große politische Geste, aber für einen Gag am Rande ziemlich gut.

Conway Savage ist tot. Beinahe drei Jahrzehnte lang war der australische Pianist Mitglied von Nick Caves Band Bad Seeds. Die hatten, als Conway 1990 einstieg, noch den Ruf einer unberechenbaren Live-Band und durchliefen gerade endgültig die Metamorphose zu den düsteren, opulent arrangierten Balladen, bei denen er fortan am Piano saß (wenn nicht Cave selbst diesen Platz einnahm), Orgel spielte oder im Hintergrund sang. 2000 veröffentlichte er sein erstes Soloalbum. Nun ist er mit 58 an einem Gehirntumor gestorben. In der Mitteilung der Band erinnern Cave und die Bad Seeds an seine "goldene Stimme" - und an eine durchtrunkene Nacht in Köln, die um vier Uhr nachts damit geendet hätte, das Conway in der Hotelbar das alte amerikanische Traditional "Streets Of Laredo" gesungen habe und "keine Auge trocken geblieben" sei.

Vielleicht ein guter Moment, um an die Zukunft der Popmusik zu denken. Zum Beispiel in Form von den Honey Hahs, drei englischen Teenager-Schwestern aus Südlondon (Rowan ist 16, Robin 13 und Sylvie 11 Jahre alt), deren Debütalbum " Dear Someone, Happy Something" beim Kult-Label Rough Trade erscheint und von Ex-Pulp-Bassist Steve Mackey produziert wurde. Eine Art Indie-Variante der Jackson Five also? Sorgen machen muss man sich, nach allem, was man so hört, wohl nicht. Auch die Musik klingt nach natürlicher Entwicklung: Keine Indie-Schmachter für Erwachsene, sondern freundliche Folklieder mit Harmoniegesang, Gitarren und kindlicher Perspektive. Entwaffnend und ehrlich - sogar, wenn es um Trump geht.

Ein großer intellektueller Spaß ist die neue Platte des meisterhaften Exzentrikers Chilly Gonzales: Mit " Solo Piano III" (Gentle Threat) bringt er die Trilogie zu Ende, mit er sich der Welt zuerst 2004 als großer Klaviervirtuose präsentierte. Die Platte ist die Zwischenbilanz eines Pianisten, der mit den Mitteln der Klassik immer zur Gegenwart hinstrebte. Jedes der 15 Stücke widmet Gonzales einer von ihm bewunderten Persönlichkeit: dem Anthroposophen Rudolf Steiner, der Flugpionierin Amelia Earhart, Hildegard von Bingen oder Ernö Rubik, dem Erfinder des Zauberwürfels. Als Zuhörer darf man munter raten, wie genau er deren Leistungen und Ideen in seinen hochbeweglichen, vieldeutigen Stücken verbaut hat - oder befürchten, dass "Gonzo" uns wieder mal an der Nase herumführt. Eine Freude ist beides.

© SZ vom 05.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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