Vielleicht muss man Anfang zwanzig sein, um mit so unverstellter Klarsicht auf die Welt zu schauen wie Greta Kline. Andererseits sind die feinsinnigen Indierock-Songs, die die New Yorkerin mit ihrem Bandprojekt Frankie Cosmos veröffentlicht, Kunststückchen, die viele weder mit 24 noch mit 42 hinbekommen. Vessel" (Sup Pop) ist eine der schönsten Indie-Platten des Frühlings. Die Songs sind kurz: DIY-Rock mit Grunge-Akkorden, um die Folk-Vergleiche auf Abstand zu halten. Sie klingen mühelos und simpel, kreisen aber mit so viel Scharfsinn um sprachliche Feinheiten und Meta-Erzählungen, dass man sie hört wie eine Sammlung smarter Kurzgeschichten. Klines Poesie ist die der kleinen Momente: Gesten, Alltagsdinge, flüchtige Gedanken. In selbstironischen, aber einfühlsamen Beobachtungen komprimiert sie stückchenweise ihr Innenleben. Etwa wie es sich anfühlt, gleichzeitig verträumt und desillusioniert zu sein oder die schöne Weisheit, dass das Leben ist wie ein Kopfkissen: "Nothing is deserved, nothing is earned, like the pillows cold side" - von nichts kommt nichts, wie bei der kalten Seite des Kissens.
Der Song der Woche kommt von Let's Eat Grandma. Hinter dem putzigen Namen stecken die Teenager Jenny Hollingworth und Rosa Walton, die bereits mit dem Debüt "I, Gemini" (2016) eine Ahnung von ihrem genresprengenden Potenzial hinterließen. Anhören sollte man sich ihre neue Single besonders dann, wenn man eigentlich der Meinung ist, Popmusik könne im Jahr 2018 nichts mehr anders machen: "Falling Into Me" (Transgressive) ist eine Art Alternative-Pop-Suite, die als surreales Noir-Musical in einer dunklen Seitenstraße beginnt und dann mit einer Leichtigkeit eine Angstbewältigungsgeschichte nicht nur mit Van-Halen-Synthesizern und zeitgenössischem Dance-Pop à la Charli XCX koppelt, sondern auch mit perlenden Pianomelodien, bedrohlich knirschender Elektronik und einem Saxofon-Solo.
Nicht dass wir es nicht schon geahnt hätten, aber am Rande zeigt der Datenskandal um Facebook nun auch: Wahlen werden mit Popmusik entschieden. Nach einem Bericht der New York Times schnitten die Datensammler von Cambridge Analytica politische Kampagnen auch mit Hilfe eines Persönlichkeitsmodells auf Zielgruppen zurecht, das Eigenschaften wie Offenheit und Umgänglichkeit anhand des Musikgeschmacks errechnet. Das Modell basiert auf einer psychometrischen Studie, die 2015 an den Universitäten Stanford und Cambridge entstand: Demnach erweisen sich Menschen, die ihre Facebook-Likes an Künstler wie Björk und Tom Waits verteilten, als besonders offen für neue Erfahrungen - ganz im Gegensatz zu Fans der Popsängerin Cheryl Cole. Am wenigsten umgänglich sind demnach Liebhaber von Rammstein, Judas Priest und Marilyn Manson. Extrovertierte Menschen mögen Gucci Mane, einen der Rapper, der Trap-Musik populär gemacht hat. Die schönste Erkenntnis aber ist aber die, das Anhänger von The Smith besonders neurotisch sind. Kein Musikkritiker hätte sich das besser ausdenken können - und kein Sci-Fi-Schwarzseher, dass Donald Trump mit diesem Wissen Wahlen gewinnt.
Der Preis für den besten Titel geht an das neue Album der Preoccupations: "New Material" (Jagjaguwar). Es ist nicht auszuschließen, dass dieser spröde Pragmatismus mit einer gewissen Vorsicht bei allen Namensgebungen zu tun hat, nachdem das kanadische Quartett den alten Bandnamen Viet Cong nach massivem Shitstorm ablegen musste. Ihr toller Post-Punk aber ist auf der dritten Platte immer noch so rätselhaft und zwielichtig wie zu Beginn: Die Drums hallen so kühl wie zwischen den hohen Wänden einer Industrial-Kathedrale, die Gitarren fließen in melancholischen Grautönen dahin, irgendwo in der Ferne pluckert ein Wave-Synthesizer und alles vermischt sich in einem so undurchdringlichen wie dringlichen Nebel, in dem die Instrumente beinahe nicht mehr zu unterscheiden und die mit Düsterstimme gekläfften Wut- und Erschöpfungsgesänge von Matt Flegel der einzige Wegweiser sind.
Wer indes auf das letzte Indiz gewartet hat, dass der Vinyl-Trend noch ein paar Jahre andauert - der sieht sich durch diese Nachricht bestätigt: Der Einrichtungsriese Ikea nimmt bald seinen eigenen Plattenspieler "Frekvens" (Schwedisch für Frequenz) ins Sortiment. Die Ankündigung kommt pünktlich zur Meldung, dass auf dem US-Markt zum ersten Mal seit Jahren die Einnahmen durch physische Tonträger digitale Verkäufe übersteigen (an einsamer Spitze weiterhin: Streaming). Bleibt zu hoffen, dass die Montage-Anleitung für "Frekvens" nur halb so kompliziert ist wie die für das "Pax"-Schranksystem.