Popkolumne:Oh, die Vergänglichkeit!

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Diesmal mit Lizzo, Jack Peñate, The Game und dem Berliner Instrumentalprojekt "Globus" - sowie der Antwort auf die Frage, von wem der beste Song ist, der in diesem Jahr über das Monster Männlichkeit geschrieben wurde.

Von Julian Dörr

Bei der amerikanischen Popsängerin Melissa Viviane Jefferson alias Lizzo läuft es gerade ganz hervorragend: reihenweise ausverkaufte Konzerte und vergangene Woche acht Grammy-Nominierungen, darunter auch die in den vier wichtigsten Kategorien "Album des Jahres", "Aufnahme des Jahres", "Song des Jahres" und "Bester neuer Künstler". Wer bislang noch nichts von ihr mitbekommen hat, sollte sich schleunigst ihren Auftritt bei den American Music Awards ansehen, die in der Nacht zum Montag verliehen wurden. Dort hat Lizzo zwar nichts gewonnen, aber die Performance des Abends abgeliefert. Wer ihr dabei zuhört, welche großraumfüllende Extrapower sie in die ohnehin mächtige Absage "Take your ass home" aus ihrem Song "Jerome" packen kann, versteht ein bisschen besser, warum Lizzo in diesem Jahr zu einem neuen Pop-Idol für Empowerment und Selbstliebe aufgestiegen ist.

(Foto: N/A)

Der britische Sänger und Songwriter Jack Peñate veröffentlicht nach zehn Jahren Pause sein drittes Album "After You" (XL Recordings) und am meisten freut sich Superstar Adele darüber. Sie gestand Peñate auf Instagram auch gleich ihre "wahre und unsterbliche Liebe". Sie habe ihren Plattenvertrag wegen dieses Mannes bekommen, schreibt sie. "Er hat mich mit auf Tour genommen, als sich noch keiner für mich interessiert hat." Wer sich aufgewärmt von so viel Vorschussliebe Peñates neues Album anhört, wird aber enttäuscht. Tausende Songs soll der Brite während seiner Auszeit geschrieben haben und das hört man "After You" leider an. Es ist ganz schönes Pop-Kuddelmuddel. Das wäre nun nicht weiter schlimm, wenn es einem nicht ein bisschen arg kalkuliert vorkäme. Der unterkühlte Opener "Prayer" borgt sich Erweckungsgefühle aus dem Gospel, in "Loaded Gun" werden schwachbrüstig die Beatles recycelt, "Round And Round" wischt zu Beginn mit arabesken Sound-Schlieren, versinkt dann in muffigen Trip-Hop-Beats, nur um zum textlich vergleichsweise schlichten Refrain ("Round and round and round we go") alles wieder zusammenzuschmeißen. Oh, die Einsamkeit, die Vergänglichkeit! Die Welt ist kalt, Peñates Themen sind düster, seine Stimme dringlich. Und trotzdem kommt man nicht über den Verdacht hinweg, dass hier einer nur imitiert. Und zwar Robert Smith von The Cure, circa "Disintegration".

(Foto: N/A)

Einer kommt zurück, ein anderer geht. "Born 2 Rap" (Entertainment One/5th Amendment/Prolific Records) ist angeblich das Abschiedsalbum des amerikanischen Rappers Jayceon Terrell Taylor, besser bekannt als The Game, und wie es sich für eine Farewell-Fete gehört, hat er sich einige illustre Gäste eingeladen. Die Platte beginnt mit Ed Sheerans Akustikgitarre, was dann folgt, ist ein Roadmovie durch den Rap der Westküste in Überlänge. Es wird den alten Vorbildern gehuldigt (Dr. Dre) und die Erbfolge klar gemacht: Chance The Rapper und Future sollen ins von Taylor geräumte Spotlight treten, Nicki Minaj und Cardi B dürfen nur für Telefonsex herhalten. Das rollt dann doch zu unreflektiert und selbstreferenziell über die altbekannten Straßen von L.A., um wirklich interessant zu sein. "What is Hip-Hop these days", fragt Taylor gleich zu Beginn. Die Antwort steckt in "Born 2 Rap" und wird ihm trotzdem nicht gefallen. Es sind die Feature-Gäste 21 Savage und Anderson Paak, die den nötigen Schwung in Party bringen.

(Foto: N/A)

Wenn die Sache mit der Klimakrise böse ausgeht, und dafür spricht leider gerade einiges, wird man sich an "Day Music" (Staatsakt/Zebralution), das Debütalbum des Berliner Instrumentalprojekts Globus, als ein Artefakt aus einer Zeit kurz vor dem großen Weltenbrand erinnern. Ein herrliches kleines Album, das in acht Synthesizer-Miniaturen den Planeten umkreist und dabei ganz ohne Naturromantik auskommt. Eine höchst artifizielle Platte, die jedoch niemals künstlich, sondern immer organisch klingt. Irgendwo zwischen Tangerine Dream und der pulsregulierenden Relaxtheit von Brian Enos frühen Ambient-Werken. Vielleicht wird aber ja doch noch alles gut.

Zum Abschluss noch ein Hinweis auf das Musikvideo zu "Virile", dem neuen Song des amerikanischen Musikers Moses Sumney. Hin und her geworfen zwischen einem Klapperschlangen-Schlagzeug, scharfkantigen Streichern und einem aggressiven Gitarrenriff tanzt Sumney darin erst ekstatisch durch ein Schlachthaus samt Rinderhälften und Altarraum, und hetzt dann von einem Schwarm Marienkäfer gejagt durch weite Landschaften. "You wanna fit right in / Amp up the masculine". Einen besseren Song über das Monster Männlichkeit, das einem eine Form aufzwingen will, in die man nicht passt, hat in diesem Jahr keiner geschrieben.

© SZ vom 27.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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