Popkolumne:Nuscheln und Gähnen

Lesezeit: 2 min

Neues von Hprizm, Rita Ora, Mumford & Sons, Laibach und Lina Larissa Strahl alias Lina alias Bibi aus "Bibi & Tina" Außerdem kommt der Progrock zurück.

Von Jens-Christian Rabe

Vokale sind ein feine Sache. Der New Yorker Rapper Hprizm braucht sie trotzdem nicht. Und recht hat er. Man blicke einfach lange genug auf seinen Namen, dann ergänzt die Vokale das Gehirn schon ganz von allein. Gar nicht so unähnlich funktionierte in den besten Momenten der Avantgarde-Hip-Hop seiner Band in den Neunzigern, dem sagenhaften Antipop Consortium: bei Geniestreichen wie dem Song "Ping Pong" zum Beispiel . Damals nannte sich Hprizm noch High Priest. Sein neues Solo-Album "Magnetic Memory" (Don Giovanni Records) ist nicht ganz so herausfordernd, aber immer noch grandios ambitioniert zusammengepuzzelter rauer Indie-Rap. Nachlässiges Genuschel wie im Trap gibt's nicht, hier wird die Welt noch ganz easy messerscharf seziert.

Hprizm "Magnetic Memory" (Foto: Don Giovanni Records)

Ist es wirklich schon Zeit für die Ehrenrettung des Progressive Rock, der in den Siebzigern den Pop mit den strengen kompositorischen Mitteln der Klassik retten und zu ernster Musik machen wollte, dabei aber meistens doch nur prätentiös-mäandernde Langeweile fabrizierte? Das eigentlich sehr zuverlässige Zentralorgan des internationalen Avantgarde-Pop, die britische Zeitschrift Wire, sagt jedenfalls: Ja, es ist so weit. Nicht zuletzt, weil das Weltabgewandte des Progrock heute gar nicht mehr so weltabgewandt scheine. Immerhin seien Progrock-Projekte noch Bands mit echten Menschen und komplizierten kollektiven künstlerischen Diskussionen gewesen, die der typische Laptop-Einsiedler der Musik der Gegenwart nur noch mit sich selbst führe. Anders gesagt: "Die okkulte Verrücktheit von Magma, die übermenschlich dichte Kunst von Yes und die dunklen Fantasien von Genesis" hätten inzwischen wieder allen etwas zu bieten. Und sei es nur ein kleines bisschen Körperwärme.

Wie man andererseits Musik fachgerecht schockfrostet und dann als antiseptisches Sound-Spektakel vergnügt zwischen die Ohren jagt - das braucht ja gerade gar keine Körper, um es den Massen ganz warm werden zu lassen. Es ist ja nicht mehr 1974. Und es gibt kein Zurück mehr hinter die elektronische Revolution. Man höre nur Songs wie "Cashmere", "Your Song" oder "Girls" auf dem neuen Album "Phoenix" (Atlantic) der britischen Highscore-Pop-Sängern Rita Ora. Die Liebe ist im Pop längst exakt da, wo eine Gesangsstimme klingt wie eine heiße Dusche mit dem Dampfstrahl-Hochdruckreiniger. Yeah-ääääääääh.

Rita Ora "Phoenix" (Foto: Atlantic)

Auf verblüffende Art funktioniert die Musik der britischen Mainstream-Folk-Rock-Band Mumford & Sons auch auf ihrem neuen Album "Delta" gar nicht so anders. Dass hier und da ein echtes Klavier klimpert und man zu hören meint, wie eine echte, lebendige Hand die Saiten einer Gitarre greift, ist nichts als die perfekte Täuschung. Am Ende ist alles so brachial auf Bass poliert und so stramm komprimiert, wie es sich eben gehört für den zeitgemäßen Pop-Würgegriff ums Herz.

Das neue Album "The Sound of Music" (Mute/Pias) der ewig monumental-experimentellen slowenischen Art-Rock-Band Laibach ist da beinahe ein Gegengift. Sie nimmt sich darauf tatsächlich die Musik des Broadway-Musicals vor. Es hilft, wenn man dabei die zentrale psychoanalytische Laibach-Prämisse nicht vergisst, dass die Traumata der Vergangenheit, nur geheilt werden können, wenn man zu den auslösenden Konflikten zurückkehrt.

Und die deutschen Charts? Tja. Das weiße Album der Beatles, das zum 50. Geburtstag gerade mit allerlei Bonus-material neu aufgelegt wurde, steht auf dem dritten Platz der deutschen Album-Charts. Phantastische Nachricht. Davor versucht auf dem ersten Platz der 62-jährige Herbert Grönemeyer mit "Tumult" mal wieder die deutsche Zivilgesellschaft zu retten, während auf dem zweiten Platz die 20-jährige Lina Larissa Strahl alias Lina alias Bibi aus dem deutschen Teenie-Musical-Blockbuster "Bibi & Tina" als regierende deutsche Bubblegumpop-Prinzessin mit ihrem Album "Rebellin" lieber zum - ja, aber selbstverständlich - "kollektiven Aufstand" ruft. Ohne Grund natürlich. Baby Schimmerlos. Motto: "Lebe wild, bleib jung und sei gefälligst rebellisch". Also, nicht anpassen, sondern aufpassen, und nicht immer nur was am Social-Media-Profil ändern wollen. Weil: "Es führen auch gegen den Strom Wege nach Rom". Ach, diese ewig faszinierende, irre robuste Kraft des Pop sich immer den nächstgrößeren Unfug auszudenken - um damit auch noch gigantischen Erfolg zu haben.

Auf Platz 3 der deutschen Popcharts im November 2018: Die Beatles mit dem "White Album". (Foto: dpa)
© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: