Popkolumne:Eine Frage des Glaubens

Lesezeit: 3 min

Holly Herndon (rechts) und ihre Band. (Foto: Bennet Perez)

Mit neuer Musik von "Four Tet" und Karen O & Danger Mouse - und der Antwort auf die Frage, wie menschlich mit künstlicher Intelligenz produzierte Popmusik doch bleibt.

Von Annett Scheffel

Musikalische Paarungen haben eine lange Geschichte in der Popmusik. Da gibt es die offensichtlichen (Jay-Z und Kanye West) und die unvorhersehbaren, die furchtbar sein können (Sting und Shaggy) oder überraschend gut (Paul McCartney und Rihanna). In letztere Kategorie fällt auch "Lux Prima" (BMG Rights Management/Warner), das neue Album von Karen O und dem Produzenten Brian Burton alias Danger Mouse. Beide haben auf ihre Weise den Sound der Nullerjahre geprägt: Karen Orzolek war Sängerin des New Yorker Art-Punk-Trios Yeah Yeah Yeahs, Burton produzierte Gnarls Barkleys Superhit "Crazy" und war einer der Architekten des Retro-Sixties-Soul, der bald in Pop, Rock und Hip-Hop einsickerte. Ihr gemeinsames Album führt jetzt in eine Welt aus elaborierten Popsongs: Traumgleich sind sie, breitwandig und sehnsuchtsvoll, zugleich eingängig und gespenstisch weit draußen. Immer scheint hinter der nächsten Abzweigung eine große Radiohit-Melodie zu lauern und immer winden sich die Songs doch woanders hin. Am besten ist der neunminütige Titelsong, in dem Danger Mouse Karen Os heiseren Gesang mit allem umspült, was er für seinen schwirrenden Space-Pop braucht: warmen Bass, Streicher und ein Xylophon.

Stephen Malkmus hat ein Elektro-Album gemacht. Das klingt erst mal irgendwie falsch, der amerikanische Songwriter wurde in den Neunzigern ja vor allem mit dem wattigen Indie-Slacker-Sound seiner Band Pavement bekannt, an dem er seitdem auf Solo-Platten mehr oder weniger weiterschrieb. Nun also "Groove Denied" (Domino), das in krachigen Posen die Synthie-Musik der Achtziger zitiert: "Viktor Borgia" klingt wie die frühen Human League, "A Bit Wilder" wie die noch früheren The Cure, beides nachgespielt auf billigen Equipment. Für ein paar Songs ist das ganz lustig. Und gerade als es anfängt zu nerven, stellt sich alles als Mogelpackung heraus: Fast scheint es, als habe Malkmus den ballerigen Synthie-Einstieg gebraucht, um auf der zweiten Albumhälfte wieder echte Malkmus-Songs zu singen, die diesmal - und mehr als sonst - in Schräglagen kippen: Slacker-Songs, die klingen wie aus den Sechzigern durch ein schrottiges Radio in die Gegenwart gebeamt und wie eine Parodie des Pavement-Sounds. Ein bisschen albern ist das schon, aber auch merkwürdig unterhaltsam.

Zum Glück gibt es in dieser Woche aber auch neue elektronische Musik, die es ernst meint: In seiner Single "Only Human" (Ministry of Sounds) zeigt sich er britische Produzent Four Tet einmal mehr als großer Meister des raffiniert dahingefrickelten Spannungsaufbaus. Der Track, der bereits seit einige Monaten durch verschiedene DJ-Sets geistert, kreist um zwei gesampelte Zeilen eines Nelly-Furtado-Songs von 2006, die er in schwindelerregenden Schleifen wiederholt, mit Garage-Hi-Hats und einem federnden Groove versetzt und mit exakt so viel Hall ausstattet, dass sich auf der Tanzfläche eines Clubs jenes Gefühl eines nebeligen Schutzraums einstellt, das Four Tets Musik so organisch macht. In dieser Welt, der Welt der Dancefloors, ist "Only Human" ein Superhit.

Die neue Platte von The Cinematic Orchestra heißt "To Believe" (Ninja Tune) - und ist die erste seit zwölf Jahren. Unter alten Fans des britischen Duos, das von 1999 an mit ihrem Nu-Jazz den Trip-Hop ins neue Jahrtausend hinüberrettete, ist das eine kleine Sensation. Für alle anderen klingt die Platte wahrscheinlich etwas aus der Zeit gefallen: Die Songs sind handwerklich fein gemacht, hängen aber irgendwie auf verlorenen Posten zwischen Jazz und Neo-Klassik: beides Genres, die zwanzig Jahre später aus sich heraus erfolgreich und das für The Cinematic Orchestra typische Zusammenspiel aus Lounge-Atmosphäre und ausgedehnten Orchestersätzen hinter sich gelassen haben. Einzig das geisterhafte Titelstück spielt in der Gegenwart, was aber auch eher am tollen Gastsänger Moses Sumney liegt.

Und noch ein Blick in die Zukunft des Pop: Mit der Single "Eternal" (4AD) kündigt die kalifornische Klangkünstlerin Holly Herndon ihre erste Platte an, die mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz entstanden ist: Spawn heißt sie, lernt ständig dazu und wohnt in einem frisierten Gaming-PC. Entmenschlicht klingt "Eternal" deswegen aber überhaupt nicht. Im Gegenteil: Wie so oft bei K.I.-assistierter Musik, kann man als Hörer nicht genau sagen welche Synthie-Schicht oder Auto-Tune-bearbeitete Gesangsüberblendung den menschlichen Schaltkreisen entsprungen ist und welche den digitalen - und ob überhaupt. Das ist vielleicht das Menschlichste der neuen intelligenten Computermusik: Sie ist eine Frage des Glaubens.

© SZ vom 13.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: