Popkolumne:Ein Song für jeden Körperteil

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Jamila Woods und Esperanza Spalding beleben das etwas bejahrte Konzept des Konzeptalbums. Von Spar haben mehr Fragen als Antworten. Und die britische Sängerin Rosie Lowe stellt ihr Debüt vor.

Von Annett Scheffel

In unserer Gegenwart mit ihren Viral-Hits und Smartphone-optimierten Clips wirken Konzeptalben immer etwas aus der Zeit gefallen. Eine Platte mit dem Wort "Vermächtnis" und zwei Ausrufezeichen im Titel schüchtert also etwas ein. Dabei ist das zweite Album von Jamila Woods vor allem eine sehr moderne und sprachgewaltige Soulplatte: Jeden der 13 Songs auf "Legacy! Legacy!" (Jagjaguwar) hat die in Chicago lebende Sängerin und Spoken-Word-Künstlerin einem anderen prägenden Vorbild gewidmet: Künstlern, Autoren und Aktivisten wie dem Jazz-Trompeter Miles Davis, der mexikanischen Malerin Frida Kahlo oder dem Schriftsteller James Baldwin. In diesem dichten Referenzsystem geht es Woods aber weniger um die Beschwörung der kulturellen Urahnen, als darum, sich selbst in ihnen zu entdecken - oder genauer: sich in dieser Ansammlung meist afroamerikanischer Superkräfte von jedem und jeder etwas Mut, Trotz und Eigenwillen abzuschauen. Von der Sängerin "Eartha" (Kitt) nimmt sie das Lachen über die Frage in einem Interview, ob sie bereit wäre, für einen Mann Kompromisse einzugehen. Von "Zora" (Neale Hurston) die Furchtlosigkeit einer schwarzen Existenz in einer Welt der Vorurteile: "I'm all out of fucks to give / Fear ain't a way to live" - keinen Scheiß mehr drauf geben, und keine Angst haben. Genauso klingt die Musik: warmer, eklektischer Soul, immer in lässigem Midtempo und mit einer Menge Swagger vorgetragen. Man könnte auch sagen: Jamlia Woods baut an ihrem eigenen Vermächtnis.

(Foto: N/A)

Konzeptalbum Nummer zwei: In digitaler Form ist "12 Little Spells" (Concord/Universal Music) von der amerikanischen Musikerin Esperanza Spalding zwar bereits im Herbst erschienen, bei der nun nachgeholten physischen Veröffentlichung sind aber zu den zwölf ursprünglichen Songs, jeder über ein anderes Körperteil (und seine heilende, sinnstiftend, symbolische Bedeutung), noch vier neue hinzugekommen: Augen, Wirbelsäule und Gehirn werden um Blut, Haar, Gelenke und Schultern ergänzt. Besonders schön bringt der neue Song "Ways Together (Shoulder)" Spaldings seltsam rauschhafte, unvorhersehbare Mischung aus Jazz, Art-Funk und Folkrock auf den Punkt - diese eigentlich unmögliche Zusammenführung von Joni Mitchell und Prince. Dazu singt die Grammy-Preisträgerin ihre verschlungenen, assoziativen Erforschungstexte darüber, wie Körper und Geist interagieren. Die Schultern halten bei ihr nicht nur den Kopf, sondern das Gewicht der Welt.

(Foto: N/A)

Ein gutes Beispiel dafür, wie uneitel man als Musiker auf seine Kunst blicken kann, ohne die eigene Kunstfertigkeit zu schmälern, gibt seit 15 Jahren die Kölner Band Von Spar ab. Dem Musikexpress erklärte der Gitarrist Phillip Tielsch kürzlich im Interview, seine Band würde zwar im weitesten Sinne Popmusik machen, aber "so was wie Fans haben wir ja nicht. Wir haben nur Leute, die sich unsere Musik gerne anhören." Grund dafür sind wohl ihre freifließenden Soundvisionen, die auf jedem Album anders klingen: Wurden sie 2004 noch als Krautrock-Erben gefeiert, orientierte sich "Streetlife" (2014) an Disco und sonnigem Soft-Rock. Das fünfte Album "Under Pressure" (Bureau B) borgt sich von David Bowies gleichnamigen Hit die Idee, die gesellschaftlichen und spätkapitalistischen Verhältnisse in luftigen, tanzbaren Beat-Konstrukten zu verhandeln. In den neuen Songs gibt es zu unserer Gegenwart mehr Fragen als Antworten. Fragen wie: "Is there a cure for this / Unhappiness, happiness?", die mit pluckernden Motorik-Beats und flirrenden Synthesizer-Arpeggien umspielt werden, die alle paar Minuten in eine andere Richtung zu strömen scheinen. So zurückhaltend und gleichzeitig wach hat deutsche Popmusik dieses Jahr noch nicht geklungen.

(Foto: N/A)

Zum Schluss noch eine Lehrstunde darin, wie man dem gespenstischen Maschinenraum entkommen kann, den Künstler wie James Blake oder Burial zu Beginn dieser Dekade zwischen Soul und Bassmusik geöffnet hatten. Diesem Sound - einst so vielversprechend, dann schnell abgegrast - war 2016 auch "Control", das Debut der britischen Sängerin Rosie Lowe, verpflichtet. Der Nachfolger "YU" (Wolf Tone/Caroline International) ist mit seinem smarten Mix aus Downtempo-R'n'B und ausgefeilter Electronica deutlich wärmer und analoger geraten - romantischer. Das bestimmende Thema der Platte ist in der Popmusik merkwürdig unterrepräsentiert: Was tun, wenn das mit der Liebe plötzlich glattgeht und eine Beziehung einfach funktioniert?

© SZ vom 08.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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