Popkolumne:Barbie träumt

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(Foto: Label)

Die Popereignisse der Woche. Diesmal mit neuer Musik von Paul Weller, "Jungle" und Aphex Twin - und der Antwort auf die Frage, was mit Song-Titeln wie "MT1 t29r2" gewonnen ist.

Von Max Fellmann

Ach, manchmal gibt es doch nichts Schöneres als ein würdevolles Alterswerk. Vor allem, wenn es von jemandem kommt, der einst so jung und wild und wütend war wie Paul Weller. Das neue Album "True Meanings" (Parlophone) - fast nur akustische Gitarre und Stimme, ab und zu Streicher - klingt, als säße da ein älterer Herr am Fenster eines Holzhauses im englischen Hinterland, Blick ins Grüne, Tasse Tee, und sinniere in musikalischen Miniaturen über das Leben. Sehr viel Melancholie, behutsamer Gesang, introspektive Zeilen ("All the fears that kept you awake at night were strangely calmed"). Das schlafliedartige "Glide" singt Weller so leise, wie er vielleicht noch nie gesungen hat, fast nur ein Flüstern, gezupfte Gitarre, dann eine einsame Geige. "Gravity" klingt wie eine Schnulze aus den 40er-Jahren. "Bowie" handelt von Bowie, und Weller lehnt sich gesanglich elegant an ihn an. Gegen Ende des Albums wendet er den Blick nach vorn, in die Ewigkeit, "May Love Travel With You". All das ist so zart, dass es immer wieder an der Parodie entlangschrammt - aber Weller, der alte Fuchs, kriegt natürlich jedes Mal die Kurve, er knurrt eine Silbe, und sofort wird klar, wie viel Wucht da unter der Lieblichkeit lauert. Die Wucht lässt er diesmal nicht raus, aber natürlich hört man die 14 Songs anders, wenn man im Ohr hat, wie er früher geklungen hat oder immer noch klingen könnte (wenn er wollte). Eigentlich könnte Paul Weller jetzt gut aufhören, "True Meanings" wäre ein gelungener Schlussstrich.

Die Rapperin Nicki Minaj hat sich über die Jahre zu einer herrlichen (oder auch, je nach Perspektive, schrecklichen) Kunstfigur entwickelt, schrill gefärbte Haare, jede Menge Operationen, ölgemäldereife Kosmetik, überdrehte Kleidung. Manche Kritiker finden, inzwischen erinnere sie eher an eine Puppe als an einen Menschen aus Fleisch und Blut. Ihr selber ist das völlig klar, und das neue Video zur ihrer Single "Barbie Dreams" zeugt von gesunder Selbstironie: Da tanzt sie mit Hip-Hop-Versionen der Muppets. Lustige Filzfiguren mit Goldketten und Diamantenzähnen, sogar DJ Khaled taucht als Marionette auf. Nicki Minaj wechselt ihre Outfits im Sekundentakt, bewegt sich ähnlich künstlich wie die Figuren, und das ganze Video sagt gut gelaunt: Mensch? Puppe? Kunstfigur? Was wollt ihr denn, wer nach Grenzen sucht, hat längst den Anschluss verloren.

Warum haben die jetzt eigentlich so lang gebraucht? Vor vier Jahren wurde die Londoner Band Jungle gefeiert für ihren schlaksigen Soulfunk, das Debütalbum gewann alle möglichen Preise, die Songs liefen sofort in Werbung und Videospielen, die Band trat gemeinsam mit Pharrell Williams auf, allgemeiner Jubel. Aber erst jetzt erscheint das zweite Album "For Ever" (XL Recordings). Vielleicht liegts an der Produktionsweise: Eigentlich ist Jungle ein Duo, Tom McFarland und Josh Lloyd-Watson basteln die Musik zu Hause am Laptop zusammen. Nachdem sie dann aber lange Zeit live alles mit einer Acht-Mann-Band gespielt haben, war es möglicherweise nicht leicht, sich wieder im kleinen Rahmen zurechtzufinden. Hat aber geklappt, die beiden produzieren auch jetzt wieder Musik, bei der sich die Cocktails quasi von selbst ins Glas stürzen. Jeder Song eine glitzernde Discokugel, alles voller Handclaps und Geigen, darunter ein federnder Bass, der Hüften in Gummibäume verwandelt. Nichts daran ist überraschend, aber das soll es auch nicht sein: professionelle Party-Musik auf hohem Niveau.

Die Tragik der Avantgarde: Da kann einer etwas wirklich Bahnbrechendes schaffen, aber wenn er es bis in alle Ewigkeit wiederholt - dann ist es irgendwann bloß noch alt. Richard James hat unter dem Namen Aphex Twin Großes vollbracht, er hat im unwegsamen Gelände zwischen Drum 'n' Bass, Ambient und atonalem Experiment Räume geschaffen, Unerhörtes komponiert, Monsterklänge mainstreamfähig gemacht. Aber was sollte er danach tun? Plötzlich Easy-Listening-Alben aufnehmen? Eine Metal-Band gründen? Nein, er macht natürlich weiter Aphex-Twin-Musik. Auf der neuen EP "Collapse" (Warp Records) zirpen und zurpen also wieder die Synthesizer, Drumcomputer drehen durch wie gestochene Stiere. Sobald sich Ansätze von Struktur zeigen, treten sie sofort wieder die Flucht an. Die Stücke tragen wie üblich krude Namen, "MT1 t29r2" oder "abundance10edit[2 R8's, FZ20m & a 909]", immerhin, zum Teil sind da die verwendeten Geräte rauszulesen, etwa das Casio-Keyboard FZ20. Und manche Momente sind interessant und vielschichtig, aber eben eher etwas für 1998 als für 2018.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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