Pop:"Wenn ich ein Typ wäre, wäre ich ein Rockstar"

Lesezeit: 4 Min.

Die Berliner Sängerin Dominique Dillon de Byington alias "Dillon" hat die fragilste Stimme des deutschen Indiepop. Dahinter verbirgt sich allerdings alles andere als ein fragiler Kopf. Eine Begegnung.

Von Lilli Heinemann

In einem kleinen verliesartigen Keller in einer Münchner Konzertzweckbau kniet Dominique Dillon de Byington alias Dillon in einem grauen Samtoverall vor einer kleinen Elektroheizung. Ihr ist kalt und sie ist genervt, zu viele dumme Fragen. Ob das, was sie mache, Seelenstriptease sei und so weiter. Die 30-jährige Sängerin und Songwriterin ist gerade mit ihrem dritten Album "Kind" auf Tour. Die gebürtige Brasilianerin kam als Kleinkind nach Deutschland und lebt seit vielen Jahren in Berlin, sie singt auf Englisch, manchmal finden deutsche oder portugiesische Worte in ihre Texte. Obwohl alles, was musikalisch nach ihrem 2011 veröffentlichten Debütalbum "This Silence Kills" kam, nicht an frühere Songs wie "Thirteen Thirtyfive" oder "Tip Tapping" heranreichte, begleitet sie eine treue Gemeinde.

"Sobald du irgendwie schnippisch bist, wirst du als zickige, labile Frau dargestellt."

Dillon spricht offen, hält Augenkontakt, sie wirkt viel entspannter und freundlicher, als man sie in den Videos von Interviews der vergangenen Jahre wahrnimmt. Trotzdem redet sie nicht gern über ihre Arbeit. Zu viele belanglose Fragen, zu viele Gesprächspartner, die sich einbildeten, sie zu kennen: "Und dann darf ich nicht böse sein, sonst heißt es, ich bin zickig. Sobald du irgendwie schnippisch bist, wirst du als zickige, labile Frau dargestellt. Es ist mühselig sich immer wieder rechtfertigen zu müssen", erklärt sie. "Wenn ich ein Typ wäre, kein T-Shirt anhätte und dazu noch irgendjemanden anspucken würde, wäre ich ein Rockstar. Aber weil ich so aussehe, wie ich aussehe, das mache, was ich mache, I'm just a bitch."

Es sind lyrische Wortspiele, die zu ihren Songs werden, sie drehen sich um Liebe und Sehnsucht, ums Wachsen und Erwachsenwerden: "Das zweite Album zu schreiben war die absolute Hölle für mich, ich habe mich geweigert, mich mit dessen Inhalt auseinanderzusetzen. Ich wusste, ich mach das oder ich bring mich um. Und das meine ich nicht kitschig, sondern genauso." Anders als beim Vorgänger "The Unknown", empfand sie das Schreiben der Songs für "Kind" als erleichternd. "Meine Angst ist nicht weg, aber sie ist nicht mehr der Mittelpunkt meines Lebens, ich habe gelernt mit ihr umzugehen. Ich möchte nicht mit meiner Angst kokettieren, aber ich will mich auch nicht zensieren."

Die eigenen Depressionen und Ängste hat die Sängerin in der Vergangenheit oft zum Thema gemacht, "irgendwann hat meine Mutter gesagt, mach das nicht, behalt das für dich", erzählt Dillon. Aber sie hat sich für die Offenheit, das Preisgeben entschieden. Ihre Melancholie ist ehrlich, sie ist was Dillon zu Dillon macht, in ihr können sich vornehmlich junge Frauen wiederfinden, in Männern spricht sie eher den Beschützerinstinkt an.

Man muss sie mögen, diese einzigartige, immer leidend klingende Stimme. Dillons Texte sind ein Zurschaustellen ihrer Innenwelt, die Klänge bewegen sich zwischen Traurigkeit und Schwermut. "How tall will I grow?", fragt sie in "Kind", dem namensgebenden ersten Song des Albums und die tiefe Stimme von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow entgegnet ihr versichernd: "Only time will show." Crave and touch me / Want me and pick me / Gently guide me", singt sie in "Stem & Leaf". "Your angle of view / Guided me through" in "Shades Fade" - immerzu inszeniert sich Dillon als Verlorene auf der Suche nach Führung. Ihre Verletzlichkeit ist allgegenwärtig, in den Texten, den Melodien, der unsicheren Erscheinung, den glasigen Augen. Ihre Stimme klingt schmerzvoll, sie bricht ab, als müsse der Mensch, der zu ihr gehört erst neue Kraft sammeln, um den nächsten Laut herauszubringen: "Klar gibt es Leute, die mir sagen, dass das fürchterlich affektiert ist und das ist auch vollkommen in Ordnung", sagt sie, doch man nimmt ihr nicht ganz ab, dass sie Kritik und Reaktionen nicht tangieren.

Auf der Bühne in einer gefüllten, aber längst nicht ausverkauften Halle, eingetaucht in pinkfarbenes Licht und Nebel erscheint Dillon in weiß gekleidet, zwei junge Männer im Hintergrund unterstützen sie mit Elektrosounds und Glockenspiel. Ein freundlich ins Mikrofon gehauchtes "Vielen Dank" nach jedem Lied ist alles, was das Publikum an Interaktion bekommt. Jede Handbewegung scheint einstudiert, als hielte sie sich an ihren Bewegungen fest, die Performance starr, als brauche sie ein Korsett, das sie zusammenhält, als könne sie eine Störung des Geplanten erschüttern. Und dann tritt genau diese Störung ein. In einem kurzen Moment der Stille und des Sammelns zwischen zwei Songs dringt ein Grölen nach Bier aus den hinteren Reihen, lauthals wird der Wunsch geäußert, dass die Bar während des Konzerts weiterverkauft. Eine gewaltige Spannung ergreift das Publikum. Wie die in sich gekehrte Sängerin dort auf der Bühne wohl mit den ordinären Besuchern und der unvermittelten Situation umgehen wird? Sie kündigt einen Nervenzusammenbruch an, "dann können wir ja jetzt auch einfach alle gehen", sagt sie mit zittriger Stimme und verschwindet kurz, aber macht dann weiter und scheint sich nach zwei, drei Songs wieder gefangen zu haben. Das zuvor passive Münchner Publikum ist jetzt aufgewacht, nicht mehr mit seinen iPhones beschäftigt. Es singt sogar die Texte plötzlich zaghaft mit und bestärkt die Sängerin mit tosendem Applaus. Eine ähnliche Erfahrung machte sie vor ein paar Tagen in Hamburg, wo sie sich laut an der Bar unterhaltende Gäste bat, nach Hause zu gehen: "Ich habe wirklich versucht, sie zu ignorieren, aber es ist stressig für mich auf der Bühne, es macht mich nervös."

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Man fragt sich dabei, warum sich eine Frau, die, wie sie selbst sagt, in ihrem Alltag introvertiert und abgekapselt lebt, sich die Bühne überhaupt antut, auf der sie sich so offensichtlich nicht wohl fühlt. "Vielleicht höre ich jetzt auch auf. Ich kann mir absolut vorstellen nicht mehr auf Tour zu gehen, vielleicht nur noch Alben machen oder auch gar nicht mehr oder in zehn Jahren wieder." Sie habe angefangen ein Buch über ihr Leben zu schreiben, "ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal so begeistert wegen irgendetwas war, also muss ich das jetzt machen." Ihre Stimme, die klingt am besten, wenn sie sich vom Kleinmädchenhaften, vom Leidenden löst und mit harten Elektrobässen verschmilzt. Davon würde man gerne mehr hören.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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