Pop und Preise:Wer regiert die Welt?

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Direkte politische Statements waren bei der diesjährigen Grammy-Gala in Los Angeles erfreulich rar - die Botschaft machte das nur umso kraftvoller. Und einen Überraschungsgast gab es auch.

Von Jürgen Schmieder und Jens-Christian Rabe

Und dann stand plötzlich, gleich zu Beginn der 61. Grammy-Verleihung in Los Angeles, Michelle Obama auf der Bühne. Es hoffen gar nicht so wenige Amerikaner, dass sich die einstige First Lady im kommenden Jahr um das Amt der Präsidentin bemüht, und was wäre das für ein Moment gewesen, wenn sie im Kreise einiger der berühmtesten und einflussreichsten Frauen der Popkultur - Lady Gaga, Alicia Keyes, Jennifer Lopez und Jada Pinkett Smith hielten neben Michelle Obama jeweils kurze andächtige Reden zu Gleichberechtigung, Vielfalt und Individualität - ihre Kandidatur verkündet hätte?

Davor hatten Camila Cabello (Kuba), Ricky Martin (Puerto Rico) und J. Baldwin (Kolumbien) die vom Sender CBS übertragene Pop-Preis-Show eröffnet, Künstler aus lateinamerikanischen Ländern also, gegen die der aktuelle Präsident der USA hetzt. Gleich danach wurde der so avantgardistische wie politische Hit "This Is America" des Schauspielers und Rappers Danny Glover alias Childish Gambino mit zwei der vier wichtigsten Grammys ausgezeichnet, als bester Song und beste Aufnahme. "This Is America" - das dazugehörige, spektakulär beklemmende Musikvideo ist in diesem Fall fast ebenso wichtig wie der Song und bekam auch den Grammy als bestes Video - handelt davon, wie gespalten und ungerecht die USA geworden sind.

Aber was tat dann Michelle Obama? Sie sprach ausschließlich über Musik: "Musik lädt uns ein, einander zuzuhören", sagte sie, und es war gut so, wie es war, und doch unmissverständlich politisch. Gerade von Kunst, die für den Massenmarkt produziert wird, werden zu oft zu plumpe politische Botschaften erwartet. Diese wurden den Grammys in diesem Jahr eher von kaum unbekannten notorischen rechten Außenseitern geliefert. Die Sängerin Joy Villa etwa trug auf dem roten Teppich ein Stacheldraht-Kleid mit der Aufforderung auf dem Rücken, eine Mauer an der amerikanisch-mexikanischen Grenze zu bauen. Und der Sänger und Songwriter Ricky Godinez alias Ricky Rebel präsentierte einen Trump-Fanboy-Anzug.

Alle anderen Beteiligten machten die Gala mit verblüffend sicherem politischen Gespür zu einer Messe für die Musik, bei der die Moderatorin Alicia Keys die hinreißend vergnügte Pastorin gab (auf viele ihrer Liebesbekundungen zu Kraft und Macht der Musik antworteten die anderen Künstler mit "Amen"), und es war auch gut, dass die Zeremonie nicht mit den tagesaktuellen Gags überflutet wurde, von denen bei ähnlichen Anlässen in anderen Künsten vielleicht gerade etwas zu viel erwartet wird.

Lady Gaga und Bradley Cooper gewannen den Pop-Duo-Grammy mit ihrem Song "Shallow", danach präsentierte Lady Gaga eine wilde Solo-Interpretation des Songs. Die New Yorker Rapperin Cardi B. bekam für ihr im vergangenen Jahr erschienenes Debüt-Album "Invasion of Privacy" als erste weibliche Solokünstlerin den Grammy für das beste Rap-Album. Es war eine Zeitenwende für das Musikgeschäft, die kaum zu unterschätzen ist, auch wenn sie in einer gerechten Welt für ihre eindrucksvolle Platte ebenso den Album-of-the-Year-Grammy, einen der vier wirklich wichtigen Grammys, bekommen hätte. Dieser aber ging an die doch allzu brave Kunst der Countrypop-Sängerin Kacey Musgraves für ihr Album "Golden Hour".

Die R'n'B-Sensation Janelle Monaé moonwalkte bei ihrem Medley zu ihren Songs "Make Me Feel", "PYNK" und "Django Jane" in ihren sogenannten Vagina Pants, spielte auf ihre Pansexualität an und bot eine Hommage an ihren verstorbenen Freund und Mentor Prince. Dolly Parton und Diana Ross gaben bei den Ehrerbietungen an ihre Musik jeweils selbst ein paar Kostproben ihrer noch immer unverwechselbaren Stimmen, und Jennifer Lopez übernahm die Erinnerung an das vor 60 Jahren gegründete, bahnbrechende Soul-Label Motown Records.

Die Prince-Wiedergängerin Janelle Monae lieferte einen der spektakulärsten Auftritte des Abends. (Foto: AFP)

Schon was bemerkt? Nun, es gingen nicht nur die wichtigsten Auszeichnungen fast ausschließlich an weibliche Künstler, es gab insgesamt 17 musikalische Einlagen bei dieser Grammy-Verleihung, und nur ganze vier dieser Auftritte (Post Malone mit den Red Hot Chili Peppers, Dan + Shay, Shawn Mendes und Smokey Robinson) waren rein männlich. Die Stars des Abends waren endlich, endlich, endlich einmal die Frauen. Die Popsängerin Dua Lipa wurde als beste Newcomerin prämiert, Ariana Grandes "Sweetener" als bestes Pop-Album. Und Janelle Monaé rief am Ende ihres Auftritts in Anspielung auf das Theaterstück "The Vagina Monologues" und ihre Single "PYNK": "Lass die Vagina einen Monolog halten!"

Bei den Grammys zeigte sich unmittelbar, wie Frauen den Pop zuletzt künstlerisch dominierten. Und als Michelle Obama ihr Loblied auf die Musik beendet hatte, fragte Moderatorin Alicia Keys in den Worten von Beyoncés Hit: "Who runs the world?" Wer regiert die Welt? Sie musste auf die Antwort nicht warten, spätestens nach dieser Veranstaltung sollten es alle wissen. Manchmal passieren Wunder eben doch. Amen.

© SZ vom 12.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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