Pop:So sehen Versager nicht aus

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Die eben noch für ihr Debütalbum gefeierte Indiepop-Band "Alt-J" wird gerade böse verrissen. Das ist vielleicht ganz lustig, aber nicht angebracht. Eine kleine Ehrenrettung.

Von Jens-Christian Rabe

Auweia. What goes up, must come down. Es gilt mal wieder das Entertainment-Grundgesetz Artikel 1, Absatz 1: Wer zu hoch fliegt, ist zum Abschuss freigegeben. Das zweite Album der britischen Indie-Pop-Band namens Alt-J - das ist bei Computern der Firma Apple die Tastenkombination für das Delta-Zeichen in mathematischen Gleichungen, was auch immer uns damit gesagt werden soll, bestenfalls bitte einfach: nichts - ist soeben erschienen. Es heißt "This Is All Yours" (Infectious Music / Pias Cooperative) und wurde an einigen prominenten Orten der Popkritik nach allen Regeln der Kunst verrissen.

Eine wirklich spektakuläre Nachricht ist das natürlich noch nicht. Dafür ist die Kritik ja da. Man hat manchmal sogar eher den Eindruck, dass die Popkritik zu oft doch viel zu lieb ist und noch die letzte mäandernde musikalische Einfallslosigkeit zu einem wegweisenden Sound-Experiment erklärt oder die gerade verträumteste Schrammel-Combo zur besten Band der Welt. Wobei das im Grunde auch vollkommen in Ordnung ist. Womöglich sogar genau richtig so.

Soundtracks für das Finale eines Alptraums, den man gleich noch einmal träumen möchte: die britische Band Alt-J. (Foto: Gabriel Green)

Weil einen doch nur die Liebe durch den Tag bringt. Mit dem Hass kann man ja höchstens aus der Haut fahren und wer will da auf Dauer schon hin?

Nur im Fall von Alt-J geht die Vernichtung jetzt eben doch zu weit. Zur Erinnerung: Für ihr fabelhaftes Debüt-Album "An Awesome Wave" bekam die Band vor nicht einmal zwei Jahren mit dem Mercury-Preis, den einzigen wirklich vertrauenswürdigen großen Pop-Preis der Welt. Völlig zu Recht. Ihre eigentümlich knarzig-näselnden Elektro-Folk-Kunstpop-Songs wie "Breezeblocks", "Tessellate", "Something Good" oder "Dissolve Me" klangen trotz Falsett-Männerchorgesangs und Xylophon-Geklöppels kein bisschen angestrengt. Und Videos wie das zu "Tessellate" waren famose Zeichengewitter, in denen es passieren konnte, dass es plötzlich wie eine der besten Ideen überhaupt aussah, Raffaels "Schule von Athen" mit vor Selbstbewusstsein fast platzenden, aber formvollendet gelangweilten englischen Proll-Kids als Musik-Clip zu reinszenieren.

So war das. Und jetzt das. Beim wichtigsten Online-Musikmagazin Pitchfork gab es 4.0 von zehn möglichen Punkten, was nach den Maßstäben der Seite ziemlich genau eine glatte sechs ist. Die Rezension selbst ist eine entsprechende Frechheit. Allerdings eine sehr unterhaltsame. "This Is All Yours" sei das Peter-Prinzip als Album. Zur Erinnerung: Das Peter-Prinzip kommt aus der Management-Theorie und besagt, dass ein Mitarbeiter genau so lange befördert wird, bis er überfordert ist. Alles passe hinten und vorne nicht zusammen und so weiter. Der Spiegel wusste vergangene Woche nicht ganz so genau, was ihm missfällt, war aber auch dagegen und froh, dass es ihm andere erklären können. Ach ja, irgendwie zu seelenlos-verkünstelt schien es den Kollegen.

Und genau das soll nicht einfach so stehen bleiben. Nicht geleugnet werden kann zwar, dass "This Is All Yours" - wie übrigens auch das jüngste Album von Metronomy, der anderen besten jüngeren britischen Indie-Band der Gegenwart - leider nicht der erhoffte große Wurf ist, ein Album des Jahres. Und ein paar Flöten-Interludes hätte man sich womöglich auch sparen können. Es ist aber doch wieder mit diesem ganz feinen Pop-Ohr zusammengebastelt, das aus tatsächlich oft ziemlich disparaten und kunstsinnigen Soundideen echte Songs herauswindet. Man höre bei "Every Other Freckle", "Pusher" oder "Arrival In Nara" nur einmal eine Weile genau hin. Und dann wären da ja noch die beiden vorab veröffentlichten Songs "Left Hand Free" und "Hunger Of The Pine". Ersteres ist ein wirklich grandioser Indierock-Rumpler, letzteres der Soundtrack für das Finale eines Albtraums, den man gleich noch einmal träumen möchte. Echtes künstlerisches Versagen hört sich ganz anders an.

© SZ vom 25.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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