Pop:Sie sind drei

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Hier steht nicht mehr der alte Macho auf der Bühne, sondern ein neuer Typus Mann: Jay-Z mit Gattin Beyonce Knowles beim gemeinsamen Auftritt im Berliner Olympiastadion. (Foto: Raven B. Varona/Parkwood/PictureGroup)

Die amerikanischen Pop-Superstars Béyonce und Jay-Z beantworten bei ihrem Konzert im Berliner Olympiastadion die Frage, wie man nach einer Paartherapie eigentlich ein Pop-Spektakel veranstaltet.

Von Jan Kedves

Es muss etwas bedeuten, wenn sich ein männlicher Pop-Künstler während eines Konzerts häufiger umzieht als seine Frau. Nur, was? Im Grunde gibt es keinen echten Präzedenzfall, noch nie zuvor waren zwei Pop-Größen vom Kaliber Beyoncé und Jay-Z, die zudem Eheleute sind, noch dazu Eheleute, die kürzlich eine schwere Krise überstanden haben, gemeinsam auf Tour. Doch es fällt eben auf: Der Rapper Jay-Z, bürgerlich Shawn Corey Carter, 48, hatte in der "On The Run II"-Show, die am Donnerstagabend im Berliner Olympiastadion Station machte, elf Kostümwechsel zu absolvieren. Seine Frau, die R&B-Königin Beyoncé Knowles, 36, nur acht.

Möglich, dass Beyoncé darauf bestanden hat. Denn sie ist ja erklärte Feministin, noch dazu eine Feministin, die es zum Teil ihres Feminismus gemacht hat, dem Mann, mit dem sie seit 2008 verheiratet ist und der ihr untreu wurde, zu verzeihen - das ist Boulevard-Allgemeinwissen und kein unheikles Manöver, aus feministischer Sicht jedenfalls. Nun muss für alle erkennbar sein, dass Jay-Z nicht mehr der alte Jay-Z ist. Während Beyoncé in Variationen ihrer bekannten Pop-Königinnen-Uniform aus metallisch funkelndem Roboter-Body mit ebenso funkelnden überknielangen Stiefeln zugleich Stärke und Sexyness und militärische Breitschultrigkeit demonstriert, darf er nicht einfach nur cool herumstehen wie früher. Er muss sich auch ein bisschen anstrengen. Lederblouson mit nagelneuen Sneakers. Schusssichere Weste zu Camo-Hose. Umziehen! Und wieder umziehen!

Hier steht nicht mehr der alte Macho auf der Bühne, sondern ein neuer Typ Mann, der im amerikanischen Rap seit einer Weile zu beobachten ist. Man könnte ihn den durchtherapierten, für seine Gefühlswelt sensibilisierten, den geläuterten Rapper nennen. Jemand, der seine Probleme mit professioneller Hilfe angeht. Der Rapper Kid Cudi sagte etwa, dass er durch seine Psychotherapie seine Depression und Selbstmordgedanken in den Griff bekommen habe. Kanye West gibt mit seiner Diagnose "bipolare Störung" fast schon an und macht auf Anregung seiner Frau Kim Kardashian eine Schrei-Therapie.

Die psychotherapeutische Wende im Rap ist auch deswegen interessant, weil Rap ursprünglich eigentlich selbst einmal so etwas wie Therapie war - eine Möglichkeit, das Ghetto-Trauma zu verarbeiten. Jetzt bemüht sich Jay-Z mit professioneller Hilfe, sich vom Drang zum Fremdgehen zu befreien. Um nicht länger das in der afroamerikanischen Community seit Zeiten der Sklaverei verbreitete Trauma des dysfunktionalen Vaters fortzuschreiben. Der Vater von drei Kindern ist selbst ohne Vater aufgewachsen.

Bevor Jay-Z im vergangenen Jahr sein Reue-Album "4:44" veröffentlichte, reimte er vor allem machistisch über Frauen und sein früheres Gangster-Leben. Beyoncé betonte dagegen bereits vor "Lemonade" - ihrem großen Album von 2016, auf dem sie die Wut der Betrogenen mit minimalen avantgardistischen Beats und allgemeinen Reflexionen zum Leben schwarzer Frauen in den USA kombinierte - immer wieder Gesten weiblicher Stärke.

Die Versöhnung der Perspektiven gelingt in der Show, wenn nach einer Stunde sie seinen Hit "99 Problems" mit ihrem eigenen Hit "Don't Hurt Yourself" kontert. In "99 Problems" prahlt der alte, noch ledige Jay-Z damit, dass er 99 verschiedene Probleme am Hals habe, aber eine Frau zum Sex zu finden, das Problem habe er wirklich nicht. "Who the fuck do you think I is? You ain't married to no average bitch, boy", singt - beziehungsweise: schreit - nun sie. Du hast hier nicht irgendeine Bitch geheiratet, sondern Queen B, die Herrscherin des R&B und Heldin aller starken Frauen!

Es geht also fast in jeder Sekunde um die Liebe und das große Ganze drumherum. Die Soziologin Eva Illouz und ihre in den vergangenen Jahren viel gelesenen Thesen zur Warenförmigkeit der Romantik lassen grüßen. Beyoncé und Jay-Z verdinglichen ihre Liebe in Form von Konzerttickets und stapelweise Merchandise-Shirts, und sie romantisieren den Konsum, indem sie einen Luxus-Trip nach Jamaika buchen und von dort Urlaubsvideos mitbringen. Die werden im Olympiastadion für alle gezeigt. Touristische Qualitätszeit für das sich fremd gewordene Superstar-Paar am Strand, mit Golduhren, teurer Mode und Champagner.

Die Bühne ist vollkommen darauf ausgelegt, diese Achterbahnfahrt mit mobiler Architektur zu unterstützen. An jeder Ecke befindet sich eine Windmaschine, mit der Beyoncé sich - während sie ihre wunderbaren R&B-Koloraturen ins Mikrofon perlen lässt - die Haare aufwühlen lassen kann. Vor der Bühne gibt es zwei lange parallele Ausleger, die weit ins Publikum hineinragen, sodass zu Beginn der Show Jay-Z rechts auf seinem Ausleger läuft, und Beyoncé links auf ihrem - da ist noch viel Distanz zwischen den beiden!

Bald entpuppt sich die Bühne aber als fahrbar, sie rollt über die Ausleger hinweg, über die Köpfe des Publikums. Die Bühne ist nun also eine Brücke, sie verbindet "Bey" und "Jay" über die aufgewühlten Gewässer ihrer Beziehung hinweg. Aufwendigster materialistischer Symbolismus, ha! Und schon erinnern sich die beiden an die große, wilde Zeit ihres Verliebtseins vor 15 Jahren: "Crazy In Love", der Hit mit den Gogo-Funk-Trommeln und hysterischen Blech-Fanfaren. Da kann die Erneuerung der Liebesschwüre nicht weit sein - sie vollzieht sich zu einem absolut schrecklichen oder superkitschig tollen, je nachdem, Medley aus "Forever Young" von Alphaville und "Perfect" von Ed Sheeran.

Das heißt auch: Die beiden spielen tatsächlich kein einziges Stück von "Everything Is Love", ihrem Wir-haben-uns-wieder-lieb-Album, das sie vor zwei Wochen als The Carters veröffentlicht haben. Was im Grunde nur beweist, dass Pop noch immer dann am besten ist, wenn er die Kunstform der superintensiven, harten, euphorischen, überschäumenden Gefühle ist. Ich bin so krass verliebt in dich, ich hasse dich und alles und jeden - solche Gefühle. Nicht: "Schatz, unsere Paartherapie scheint gut zu funktionieren, lass uns doch ein Album daraus machen."

© SZ vom 30.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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