Pop:Retrokolumne

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Michael Jacksons "Off the wall" ist ein Werk vor den Nasen-Operationen, ein Album jugendlicher Unschuld. Jeff Buckleys Album "You and I" ist mit unveröffentlichten Studioaufnahmen aus den Neunzigern erschienen.

Von Thomas Bärnthaler

Es gibt nur wenige Mythen der Popgeschichte, die so exemplarisch von märchenhaftem Aufstieg und tragischem Fall eines Helden erzählen wie der Mythos Michael Jackson. Von einem, der alles hatte und alles verlor, der loszog, sich selbst zu finden und daran zerbrach. Geliebt als Teenie-Star, vergöttert auf dem Zenith seines Ruhms, missverstanden und bemitleidet in seinen letzten Jahren als "Wacko Jacko" - als verrückter Jacko. Die Nasen-Operationen, die Sache mit den Kindern, die Tablettensucht. Von all dem war 1979 noch nichts zu ahnen, als Jacksons Album "Off The Wall" erschien, das nun als Sonderedition inklusive der Filmbiografie "Michael Jackson's Journey from Motown to Off the Wall" von Spike Lee als DVD neu aufgelegt wurde. Das Album ist ein Werk jugendlicher Unschuld und Unbekümmertheit, mit dem der 21-jährige Jackson damals die Welt eroberte. Mit seinen Tanzschritten, seinem sonnigen Gesang, seinen Kieksern und seinem Charisma. "Off The Wall" war ein Versprechen, aber auch ein Akt der Selbstermächtigung, ein großer Schritt raus aus dem Schatten des Vaters, der ihn und seine vier Brüder mit harter Hand als Kinderstars vermarktet hatte. Die Jackson Five hatte er schon vorher verlassen, doch erst mit Quincy Jones als Produzent fand er eine Art Ersatzvater und Mentor, der seine Talente voll zur Geltung brachte. Und jenen Sound mitprägte, den das Duo Jackson/Jones zwei Jahre später auf "Thriller" zur Vollendung brachte: eine Art Post-Disco, um Jazzeinflüsse und Synthie-Elemente bereichert, luftig und lebensfroh, naiv und pathetisch bis in die Haarspitzen des Afros, den Jackson auf dem Coverfoto noch sehr stolz trägt. Seine Nase allerdings hatte er sich schon zum ersten Mal verkleinern lassen. Heute lässt sich an Songs wie "Don't Stop 'Til You Get Enough" oder "Rock With You" studieren, wie ein Goldstandard aus Popappeal und Funkyness weiterlebt, zum Beispiel in den Hits von Pharrell Williams.

Es muss so um das Jahr 1994 gewesen sein, als der amerikanische Sänger und Songwriter Jeff Buckley sein erstes Konzert im Münchner "Substanz" gab. Noch war er nicht jener märtyrerhafte East-Village-Troubadour, zu dem man ihn nach seinem frühen Tod 1997 verklärte, sondern ein unscheinbarer, ziemlich gut aussehender junger Mann mit Gitarre, der sehr verloren auf der Bühne saß und gegen das Geklackere der Kickertische ansang. Manchmal kaum vernehmbar, manchmal leise vor sich hin murmelnd. Bis er schließlich Leonards Cohen "Hallelujah" intonierte und eine fast sakrale Stille sich im Bierdampf breitmachte, und jeder wusste, dass so zärtlich und elysisch kein Mensch singen konnte, sondern da auf dem Barhocker tatsächlich ein Engel sitzen musste. Nun ist "You and I" (Sony) erschienen, ein Album von Jeff Buckley mit unveröffentlichten Studioaufnahmen aus jener Zeit in den mittleren Neunzigerjahren. Es enthält hauptsächlich Fremdkompositionen, aber auch erste Demoversionen eigener Songs wie "Grace" und "Dream Of You and I". Eine Art Vorsingen vor Plattenbossen. Es ist viel geschrieben worden über die oktavenumspannende Gesangskunst Jeff Buckleys, sein Album "Grace" taucht in nahezu allen Bestenlisten auf, es gibt diverse Biografien und Dokumentarfilme über ihn, den Sohn des sagenumwobenen Hippiebarden Tim Buckley. Kaum ein Künstler der Generation X dürfte posthum so gut ausgeleuchtet worden sein wie Jeff Buckley. Umso erstaunlicher ist der Fund dieser Aufnahmen aus dem Jahre 1993, die offenbar jahrzehntelang in Archiven vor sich hinstaubten. Sie zeigen Buckley, wie er sich selbst sah damals, als einen Barden, der nicht viel mehr braucht als eine Gitarre und ein Mikrofon. Trotz all dem unsicheren Charme, den er dabei offenbart, scheint es ihm nicht an Selbstbewusstsein gemangelt zu haben, wie die Auswahl seiner Lieder zeigt. Denn das muss man sich erst einmal trauen: Bob Dylans Jahrhundertsong "Just Like A Woman" zu covern als Nobody und dabei tatsächlich bei etwas ganz und gar Eigenem zu landen. Sly & the Family Stones "Everyday People" wird bei ihm zur zen-artigen Gospelmeditation. Und gleich zweimal nimmt er sich Songs der britischen Band The Smiths vor und schafft das Kunststück, dabei trauriger zu klingen als einst der große Morrissey, der bekanntlich traurigste Mann des Universums. Mit "Night Flight" von Led Zeppelin erwies Buckley seinem Helden Robert Plant die Ehre, von dem er sich so viel abschaut hatte. Als Buckley im Mai 1997 für ein nächtliches Bad in den Mississippi stieg, soll er "Whole Lotta Love" geschmettert haben. Er kehrte nie wieder zurück. "You and I" fängt so die Magie eines Meisters ein, der im Begriff ist, seine Stimme zu finden, die er in unzähligen Bühnenauftritten in New York, seinen "Café-Days", geschult hatte. Es ist die Stimme der Ungeschütztheit, der Verletzlichkeit, die keinen Pfifferling darauf gibt, ob die Leute vor der Bühne zuhören - oder Kicker spielen.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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