Pop:Punk rügt Rapper

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Lieber diskutieren statt boykottieren: Bei der Echo-Verleihung hat Campino, der Sänger der "Toten Hosen", die judenfeindlichen Verse der ebenfalls ausgezeichneten Rapper Kollegah und Farid Bang thematisiert und ist dafür gefeiert worden.

Von Julian Dörr

Campino will noch was loswerden. Gerade hat der Sänger der Toten Hosen auf der Bühne des Messegeländes in Berlin den Echo in der Kategorie "Rock National" entgegengenommen. Jetzt fummelt er ein paar Notizzettel aus der Hosentasche. Er habe lange überlegt, ob er in diesem Jahr an der Echo-Verleihung teilnehmen sollte, sagt Campino. Aber dann habe er sich entschieden. Denn: "Wer boykottiert, kann nicht mehr diskutieren."

Schon in den Wochen vor dieser Echo-Verleihung wurde viel diskutiert, über Kunst, Meinungsfreiheit und ihre Grenzen. Über die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang und ihr Album "Jung brutal gutaussehend 3". Genauer: über eine Textzeile auf diesem Album. Im Song "0815" rappt Farid Bang: "Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen".

Es gab Proteste, eine Ethikkommission wurde eingeschaltet. Diese befand den Text, wie berichtet, als "Grenzfall", äußerte jedoch "Missbilligung gegenüber der Sprache und den getroffenen Aussagen". Nominiert bleiben durften Kollegah und Farid Bang trotzdem.

Die Rapper bezeichnen Kritik an antisemitischen Versen als "relativ stillos" - Pfiffe im Saal

"Auch wir haben mit Tabubrüchen gearbeitet", sagt Campino nun auf der Echo-Bühne, "ich bin also vom Fach." Die Grenzüberschreitung gehöre dazu, gerade im Rap. Doch man müsse sich die Frage stellen, wann die moralische Schmerzgrenze erreicht sei. "Diese Grenze muss jeder Künstler für sich selbst ziehen." Seine eigene aber sei überschritten, bei Frauenfeindlichkeit, Homophobie oder eben Antisemitismus. Er wolle keine Zensur, sagt Campino, das sei nicht die Lösung. Er wolle ein Bewusstsein schaffen.

Ganz schön diplomatische Worte für den Mann, der im vergangenen Jahr auf derselben Bühne lautstark und ungelenk gegen das "Böhmermann'sche Zeitgeistgelaber" polterte, nachdem dieser Campinos Benefiz-Projekt "Band Aid" kritisiert hatte. Wer hätte gedacht, dass eben dieser Campino ein Jahr später so einen entspannt reflektierten und doch meinungsstarken Beitrag zur Antisemitismus-Debatte liefert? Vom Publikum in Berlin gibt es dafür Standing Ovations. Als Kollegah und Farid Bang später den Preis in der Kategorie "Hip-Hop/Urban National" entgegennehmen und Campinos Rede als "relativ stillos" bezeichnen, hallen Pfiffe und Buhrufe durch die Messehalle.

Der Rest des Abends verläuft dann wie üblich ohne weitere Überraschungen. Die Kategorien sind egal, weil niemand ernsthaft die Unterschiede zwischen dem Stromlinienpop der Kategorien "Dance National" (Robin Schulz), "Band National" (Milky Chance) oder "Newcomer National" (Wincent Weiss) hören kann. Die Preise sind egal, weil es hier ja nicht um die Auszeichnung großer Kunst, sondern um Verkaufszahlen geht. Die einzig interessante Auszeichnung des Abends, den Kritikerpreis, gewinnt die Rapperin Haiyti. Atemlos stürmt sie auf die Bühne, dreht sich dreimal um sich selbst, bedankt sich mit dem Rücken zum Publikum, und schon ist die interessanteste Künstlerin des Abends auch wieder verschwunden.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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